Dritte Orte

Autorin: Smilla Kolbe


Der Begriff „Dritter Ort“ wurde von Ray Oldenburg geprägt und beschreibt Orte, die als Ausgleich zu Familie und Beruf dienen. Aus einer amerikanischen Perspektive schaut Oldenburg sehnsüchtig nach Europa – Hier gibt es Pubs, Kaffeehäuser und Biergärten. Aber was ist eigentlich mit Bibliotheken?

The wonder is that so little attention has been paid to the benefits attaching to the third place. It is curious that its features and inner workings have remained virtually undescribed in this present age when they are so sorely needed and when any number of lesser substitutes are described in tiresome detail. Volumes are written on sensitivity and encounter groups, on meditation and exotic rituals for attaining states of relaxation and transcendence, on jogging and massaging. But the third place, the people’s own remedy for stress, loneliness, and alienation, seems easy to ignore.

– Ray Oldenburg, the great good place

Was sind Dritte Orte?

Um die Frage zu beantworten, ist es zunächst wichtig, die Eigenschaften des ersten und zweiten Ortes zu definieren. Der erste Ort beschreibt das Zuhause – ein persönlicher Rückzugsort, in dem die engsten Beziehungen gepflegt werden. Es handelt sich dabei um einen informellen Raum, der zugleich Schutz und Geborgenheit bietet, jedoch auch isolierend wirken kann. Der zweite Ort hingegen steht für das berufliche oder akademische Umfeld. Dieser Raum ist geprägt von Produktivität, Verantwortung und klaren Strukturen. Hier zählt weniger die individuelle Persönlichkeit als vielmehr die Erfüllung von Pflichten und die eigene Leistungsfähigkeit. Dritte Orte unterscheiden sich grundlegend von diesen beiden: Dritte Orte sind Räume der Gemeinschaft, in dem Menschen ungezwungen zusammenkommen können. Gesellschaftliche Merkmale wie Status oder Herkunft spielen hier keine Rolle und werden symbolisch an der Eingangstür abgelegt – ähnlich wie ein Mantel an der Garderobe eines Theaters oder Clubs. Diese neutrale Atmosphäre schafft die Grundlage für ein soziales Miteinander, das frei von äußeren Zuschreibungen ist.

Dritte Orte und ihr Hintergrund

Während meines Studiums bin ich auf das Konzept der „Dritten Orte“ gestoßen und war sofort fasziniert von ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Besonders Bibliotheken als dritte Orte haben mich angesprochen, da sie nicht nur Räume des Wissens, sondern auch der Begegnung und des Austauschs sind. In einer Zeit, in der Technologienutzung oft den direkten Kontakt mit Menschen ersetzt, halte ich solche Orte für unverzichtbar. Sie bieten die Möglichkeit, echte Gemeinschaft zu erleben und fördern das persönliche Wachstum, das nur durch zwischenmenschliche Interaktionen entstehen kann. Das Konzept der dritten Orte geht auf Ray Oldenburg (7. April 1932 – 21. November 2022) zurück. Oldenburg war ein amerikanischer Soziologe, der die Bedeutung informeller öffentlicher Treffpunkte für eine funktionierende Zivilgesellschaft, Demokratie und bürgerschaftliches Engagement betonte. Er prägte den Begriff des „Third Place“ (Dritter Ort) und schrieb das Buch The Great Good Place, das 1989 von der New York Times Book Review als Editor’s Choice ausgezeichnet wurde. 2001 veröffentlichte er zudem Celebrating The Third Place, das die Rolle und Bedeutung dritter Orte weiter vertieft.

Warum eignen sich gerade Bibliotheken als Dritte Orte?

Um dies genauer zu beleuchten, habe ich mir fachnahe Unterstützung geholt. Ich hatte die Gelegenheit, mit Herrn Michael Stünkel, dem Leiter der Zentralbibliothek Hannover, zu sprechen. Herr Stünkel arbeitet seit 1999 in der Stadtbibliothek Hannover und konnte gute Einblicke in die Transformation der öffentlichen Bibliotheken zu einem „Dritten Ort“ geben. Möchtest du das Interview lesen oder erstmal herausfinden, was dein Dritter Ort ist?

© Zentralbibliothek Hannover

Zentralbibliothek Hannover

Betritt man die Zentralbibliothek Hannover, sieht man hier und da Menschen, die Zeitung lesen und Kaffee trinken. Man hört die Schüler, die ihre Hausaufgaben erledigen. All das erstreckt sich über fünf Etagen, die durch eine innenliegende Treppe miteinander verbunden sind. Die Zentralbibliothek Hannover ist offen und lebendig.

Bibliotheken umzugestalten bzw. anders zu führen bringt mehr Arbeit mit sich – das Büro von Herrn Stünkel ist chaotisch. Bücher und Papier stapeln sich. Das war nicht immer so, sagt Stünkel. Wandel heißt Arbeit.

Interview mit Michael Stünkel, Leiter der Zentralbibliothek Hannover
Smilla Kolbe (SK): Welche Funktion erfüllt Ihre Bibliothek für die Gemeinschaft abseits des klassischen Lesens und der Medienausleihe?

Michael Stünkel (MS): Ja, Klassisch ist [es] schon fast, ein „Dritter Ort“ zu sein. Ein Treffpunkt zu sein, Austausch zu haben untereinander. Manchmal auch allein in Gemeinschaft sein, also wir beobachten hier viele Menschen die hier einzeln sitzen, aber es genießen, das rundherum auch Menschen einzeln sitzen und so kommt man ins Gespräch. Also der Ort des Treffpunkts, auch der Auseinandersetzung. Es gibt hier viele Veranstaltungsformate, wo diskutiert wird – kontrovers diskutiert wird. [Diese Veranstaltungen] kann man konsumieren, man kann aber auch mitmachen.

SK: Was sind das für Veranstaltungen?

MS: Wir machen zu bestimmten Themen Diskussionsveranstaltungen. Literarische Lesungen eher weniger, weil das in Hannover anders abgedeckt ist. Zum Beispiel zum Tag der Demokratie oder zum Tag der Bibliotheken. Wir hatten jetzt das Queere Wohnzimmer für vier Monate mit Workshops Lesungen, Diskussionen und Beratungsterminen rund um das Thema in unserem Haus.

© Zentralbibliothek Hannover

SK: Was bedeuten Dritte Orte für Sie im Zusammenhang mit Bibliotheken? Wahrscheinlich genau das, oder?

MS: Genau das. Der klassische Ort zwischen Zuhause und Arbeit. Nicht kommerziell, ohne Verzehrzwang, niederschwellig zu benutzen, gute Öffnungszeiten [lacht]. Das ist auch ein Punkt, an dem wir weiter arbeiten. Wir haben jetzt die Öffnungszeiten Anfang des Jahres von 11 Uhr bis 19 Uhr auf 9 Uhr bis 19 Uhr erweitert. 

SK: Wie werden die neuen Öffnungszeiten angenommen?

MS: Die werden sehr gut angenommen. Ganz schnell ging das. Wir haben im Januar angefangen, in der Hoffnung, ein bisschen zu üben, bis die Leute das alle mitbekommen haben, dass sie früher kommen können. Es waren aber relativ schnell sehr gute Zahlen.

SK: Schön, dass das so gut funktioniert. Ich hab mir ein paar Interviews mit anderen Bibliothekaren, die von Bibliotheken nicht als Orte, sondern als Konzepte gesprochen haben, angesehen. Also insofern, dass die Räumlichkeiten geboten durch die Bibliothek werden und dann die Gemeinschaft etwas eigenes draus macht. Würden Sie dieser Aussage zustimmen? Trifft das auf die Stadtbibliothek Hannover zu?

MS: Ja, da sind wir gerade dabei. Wir haben zum Beispiel das Repair-Café. [Das] ist etwas, was auf uns zugekommen ist und von Ehrenamtlichen, insbesondere von einer Person, [betrieben wird]. Das bedeutete eine gewisse Anlaufzeit und inzwischen läuft es vollkommen ohne uns. Ein wenig organisatorische Arbeit durch den Hausdienst, aber nachdem wir Versicherungsfragen, Datenschutz und solche Sachen geklärt hatten, organisiert sich das selber. [Die Veranstalter des Repair-Café] sind einmal im Monat hier. Das versuchen wir mit anderen Konzepten auch umzusetzen. Zum Beispiel die Methothek, kein ganz schönes Wort [lacht], aber gemeint ist damit, dass Menschen die etwas können zum Thema Coaching, Kommunikationstraining, Selbstoptimierung im positiven Sinne, Bewerbungsgespräche vorbereiten,… andere Menschen bei ihrem Vorhaben unterstützen. Diese Personen kommen zu einem bestimmten Tag und machen eine Coffee-Lecture, also kleine Vorträge, aber auch mit Beteiligung der Teilnehmer. Da wünschen wir uns auch, dass sich das mehr verselbstständigt. Wir organisieren das bisher, wir akquirieren auch die Vortragenden, aber es sieht so aus, als würde das auch eine Eigendynamik bekommen, sodass das Bibliotheksbenutzer für Bibliotheksbenutzer dann anbieten.

SK: Also selbstverwaltet dann quasi.

MS: Ja genau. Und da gibt es mehrere Sachen, die auf diese Schiene gestellt werden sollen.

SK: Interessant. Man braucht ein hohes Vertrauen in die Leute, dass das alles so funktioniert, oder?

MS: Ja, unbedingt. Daran muss man auch bei den Kollegen etwas arbeiten. Aber das ist relativ schnell aufgebaut, dieses Vertrauen, wenn sich bewahrheitet, dass nichts passiert. Also, alle wollen ja was Gutes.

SK: Sie meinten im Vorgespräch bereits, dass hier nicht alles neu gebaut werden kann, aber auch, dass sie sich Räume schaffen wollen, sodass die Zentralbibliothek Hannover zu einem „Dritten Ort“ wird. Haben Sie sich da bestimmte Kriterien bei der räumlichen Gestaltung aufgestellt um eine einladende Atmosphäre zu schaffen?

MS: Mehrere Kriterien. Durch die Haushaltssituation, oder überhaupt auch durch nachhaltiges Handeln, was auch zu unseren Leitthemen gehört, haben wir nicht neu gekauft, sondern „upgecycelt“, also vorhandenes Material umgebaut, weiter verwendet. Aber sehr radikal, also man sieht nicht unbedingt, dass das Regalsystem aus den 70er Jahren stammt, sondern es ist so neu gestaltet, dass es gut in die Zeit passt. Dann haben wir festgestellt, dass wir wenig, viel viel weniger Bestand brauchen, als wir oder auch viele andere gedacht haben. Wir haben nach festen bibliothekarischen Kriterien ganz viel Medien ausgesondert und dann Platz geschaffen [für eine einladende Atmosphäre]. Anstatt Bücherregale haben wir jetzt freie Flächen. Wir haben viele Einzelarbeitsplätze und Lernzonen geschaffen. [Wir] sind jetzt dabei, auch diese zu möblieren, Steckdosen nachzurüsten. Das ist in jeder Bibliothek, die nicht aus diesem Jahrzehnt stammt, immer eine offene Stelle, weil man hat damals nicht mit Steckdosen geplant.

SK: Warum auch.

MS: Ja, warum auch. Aber es ist ein großes Thema auch für die Kunden hier. Zusätzlich haben wir in einem Partizipationsprozess einerseits intern mit unseren Mitarbeitern aber auch extern mit (Nicht-)Nutzern eine Zukunftswerkstatt durchgeführt. Üblich mit Kritikphase, Utopiephase und abschließender Realisierungsphase. Außerhalb des Hauses auch. Da sollten die Teilnehmer sich die Bibliothek der Zukunft vorstellen. [Es gab] bestimmte Methoden. Einmal mit Lego Serious Play oder auch mit Mood-Boards. Jedenfalls extern moderiert, nicht, dass wir als Korrektur dabei waren. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt sind auch Kriterien für uns. Wir versuchen, die Vorstellung einer Bibliothek der Zukunft unserer Mitarbeiter, aber auch der Kunden und Nicht-Kunden, umzusetzen.

SK: Das fließt also auch in die Überlegung [der Gestaltung] mit ein?

MS: Ja, das war sogar auch oft Rechtfertigung oder Auslöser für bestimmte Sachen, die wir gemacht haben.

SK: Das ist ist sehr schön. Wie kommt die Gestaltung der Bibliothek bei den Nutzern an?

MS: Also einmal sieht man, dass das Haus voll ist. So verkehrt kann es also nicht gewesen sein [lacht]. Es gibt viel positive Resonanz zur Reduzierung der Medien, einerseits, natürlich gibt es aber da auch große Kritik.

SK: Ja?

MS: Also, das Aussondern von Büchern ist für manche Menschen einfach ein Tabu. Und das muss man natürlich auch aushalten. Und es ist auch kein demokratischer Abstimmungsprozess. Wer sich positiv oder negativ äußert, das ist nicht in Zahlen zu messen, sondern es sind nur die Menschen, die sich eben äußern. Was daraus resultiert ist, dass man merkt, wie positiv es angenommen wird, dass wir Veranstaltungen machen, die auch in der Öffnungszeit schon beginnen. Das haben wir früher nicht gemacht. Wir haben immer erst geschlossen und dann um 19.30 Uhr was angefangen. Das war personell aufwendig und außerdem war es auch für die Kunden oder die Besucher gar nicht so optimal. Jetzt bleiben sie zum Teil hier, kriegen mit, um 17 Uhr beginnt hier irgendwas, beteiligen sich sogar. Also, das hat einen echten Mehrwert und das spricht auch dafür, dass die Kunden das gut finden. Also es gibt eine positive Resonanz. 
Es gibt immer Einzelne, die sagen „Ich möchte hier meine Ruhe haben.“, aber auch dafür haben wir einen Raum geschaffen. Der zwar auch manchmal sehr gut gefüllt ist und dann wird es da doch lauter, aber wir sind immer noch dabei, die Zonen ein bisschen schärfer zu definieren.

SK: Gibt es Maßnahmen, um genau diese Balance zu halten, zwischen einem ruhigen Ort und einem belebten Ort?

MS: Das ist bei uns einfacher als in anderen Bibliotheken, weil wir gestapelt sind. Wir haben fünf Etagen. Andere Bibliotheken haben es eher in der Fläche und da ist es schwierig. Hier kann man schon die Etage ein bisschen anders definieren. Also im fünften Stock hinter dem Aufzug, das ist eine wunderschöne Ecke, da haben wir die Methothek angesiedelt. Die sind da für sich sozusagen. Dann gibt es Arbeitsräume mit Einzeltischen und Arbeitsräume mit Gruppenmöglichkeit. Das Untergeschoss, da sind wir jetzt dabei, da ist es auch noch mal stiller. [Dort] wollen wir Arbeitsplätze einrichten, aber eben auch ein bisschen gemütlichere, also keine Büroarbeitsplätze und nur Tisch und Stuhl, sondern auch mit ein bisschen Atmosphäre.

SK: Ich war schon einige Zeit vor unserem Termin da und habe so ein bisschen beobachtet, wer hier so reingeht, das scheint mir eine bunte Mischung zu sein. Gibt es dennoch eine Personengruppe, die die Bibliothek am häufigsten nutzt? Oder ist das schwer zu sagen?

MS: Das ist ein bisschen saisonabhängig, also die Sekundarstufe 2, die Schüler die Facharbeiten schreiben und vor dem Abitur stehen, das ist eine große Gruppe, die auch unheimlich fleißig ist [lacht]. Das ist aber nur eine Gruppe; es gibt viele mittelalte Erwachsene, die sich hier aufhalten. Es gibt auch trotzdem noch die typischen Romanleser…

SK: Sind noch nicht ausgestorben?

MS: Nee [lacht], die bedürfen auch einer besonderen Pflege, weil da ist der Inhalt eben nicht so objektivierbar, wie es jetzt gerade im Trend ist. Bei BWL braucht man das, bei Technik und EDV das… [Bei Romanen] muss schon ein fachlicher Input von uns kommen. Menschen in Ausbildung, Deutschlernende, ganz viel. Und Menschen, die einfach miteinander sprechen wollen, das sieht man auch. Erfassen kann man das schlecht. Da müsste man ja wirklich gucken, für wen hält man jemanden. Ist das ein Schüler oder ist das ein Auszubildender. Lernt [die Person] Deutsch oder ist sie schon viele Jahre hier und liest einfach irgendeine Fachzeitschrift? Also das ist schwierig.

SK: Gab es trotzdem Veränderungen im Laufe der Jahre von den Besuchern oder war das ähnlich, wie sie es jetzt beschrieben haben?

MS: Also diese Tendenz, dass junge Leute hier sind, die ist gestiegen. Das kann man sagen, ja. Leute mit einer höheren Lärmtoleranz auch. Das ist schon richtig trubelig hier. Da sagen manche – ich bin ja auch schon lange hier – viele ältere Kunden, das ihnen das hier jetzt oft auch zu laut ist. Nicht, weil es undiszipliniert laut ist, [es sind] einfach viele Menschen, die sich unterhalten. Das erhöht den Lärmpegel und das möchten manche nicht, aber das ist, glaube ich, die Minderheit.

SK: Dann bietet es sich mit den Etagen ja tatsächlich an, dass man diese thematisch gestaltet.

MS: Ja, wobei man trotzdem sagen muss, wir haben ja den großen Innenhof und alles ist offen, so [geschlossen] sind die Etagen dann doch nicht, aber es ist zumindest ein Angebot.

SK: Wie spricht die Stadtbibliothek Hannover Menschen an, die normalerweise wenig Zugang zu kulturellen oder sozialen Räumen haben?

MS: Also wir gehen zunehmend auch raus aus dem Haus. Kennen Sie das Aufhof-Projekt?

SK: Ja.

MS: Da waren wir auch, mit mäßigem Erfolg, aber wir waren da und das ist erstmal schon richtig [lacht]. Dann sind wir bei den Smart City Days dabei, bei jugendlichen Technikfreaks sozusagen [lacht], mit Robotik gehen wir um. Wir haben Anfang nächsten Jahres, Mitte nächsten Jahres, eine Technothek. Ganz kultur- und bildungsferne Menschen kriegen wir nur durch Kindergärten [und] Schulen oder durch andere Vermittler. Die Technothek soll eher die MINT-Fächer propagieren.

SK: Also Sie gehen dann auch aktiv in Schulen und Kindergärten?

MS: Ja, das ist aber schon lange Standard.

SK: Das ist dann nochmal niederschwelliger, oder?

MS: Ja. Und die Zielgruppen, auf die muss man eben oft zugehen. Man muss nicht um die Aufmerksamkeit betteln, sondern man muss sich einfach nur zeigen. Das ist ja oft das Problem, dass man nicht bekannt genug ist und wenn es dann bekannt wird, ist großes Erstaunen da. 

SK: Welche Herausforderungen bestehen denn bei der Etablierung der Bibliothek als Dritter Ort? Bezogen auf Ressourcen, Personal,… Wie ist da Ihre Einschätzung?

MS: Also Herausforderungen gibt es zum Teil an die Mitarbeiter, weil auch ein anderes Publikum kommt. Es kann Konflikte geben, weil die Auffassung, wie man sich in einer Bibliothek verhält, eben doch verschieden sein können. Ich will das aber gar nicht so betonen, weil das für mich erstens nicht so eklatant ist und zweitens nicht so viel ist. [Es ist] kein Grund, sich von dem Konzept der Bibliothek als sozialer Raum wieder abzuwenden, aber man muss es natürlich sehen. Das Thema Wohnungslosigkeit haben wir schon immer gehabt, damit muss man umgehen. Die kümmert es aber nicht, ob wir als Dritte Orte definieren oder nicht. Wenn es hier warm und trocken ist und draußen nass und kalt, dann kommen sie natürlich und sollen auch kommen, das ist völlig in Ordnung. Herausforderung sonst ist, dass es ein anderes Arbeiten ist. Also die klassische Auskunft zum Beispiel. Da kommt jemand und möchte wissen, wo steht welches Buch, das ist nicht mehr die Hauptarbeit.

SK: Sondern?

MS: Die meisten kommen dann mit ihrem Handy und sagen, ich hab das Buch recherchiert und brauchen nur einen Hinweis, wo das jetzt ist. Das geht aber auch mit einer Ausschilderung. Es ist eher, dass man auch diese ganzen Begegnungen etwas moderiert, die hier stattfinden. Sehr viel Komplikationen und extrovertierteres Verhalten als früher vielleicht [lacht]. Aber auch nicht zu viel Regeln. Man muss schon auch als Mitarbeiter, der hier im Hause arbeitet, zulassen können, dass zum Beispiel die Möbel flexibel genutzt werden.

SK: Dann habe ich noch eine Frage zur Digitalisierung. Inwiefern werden Bibliotheken als Dritte Orte durch aktuelle Entwicklungen wie Digitalisierung und veränderte Lesekulturen beeinflusst?

MS: Also es ist schon so, dass die Leute die Begegnung suchen, auch wenn sie das herkömmliche Bibliothekserleben nicht so haben, sondern ein anderes. Wir haben hier mehrere Personen, die um 9 Uhr kommen, mit ihrer Tasche und ihrem Laptop, und dann bis 14 Uhr hier sitzen, zwischendurch Kaffee trinken gehen, offenbar hier arbeiten. Also die nutzen den digitalen Raum, ein gutes WLAN, also eine relativ ideale Arbeitsatmosphäre. Man ist nicht allein und muss sich selber auch irgendwie disziplinieren. Aber Digitalisierung meinen Sie jetzt nicht [insofern als dass] wir die Medien digital zur Verfügung stellen?

SK: Vielleicht ist das auch eher eine persönliche Frage. Durch Social Media ist es schwerer, die Verbindung zu anderen Leuten aufrecht zu erhalten. Man lebt quasi halb im Internet. [In dem Rahmen interessiert es mich], ob die Bibliothek ein Raum sein kann, um die Gemeinschaft zu fördern.

MS: Die persönliche, dann?

SK: Ja, genau.

MS: Ja das könnte ich so bestätigen. Wir merken das zum Beispiel im Queeren Wohnzimmer. [Dort] hatten wir mehrere Lesungen mit hauptsächlich jungen Autoren, die offenbar eine Szene bedienen. Da kommen die Leute aus Oldenburg mit ihren Eltern, weil sie diese Person lesen/sehen/hören wollen und andere treffen [wollen], die [den Autor] auch toll finden. Also das Phänomen, Lesen, Vorlesen, Lesungen, ist schon dann auch wieder im Plus und im Fluß.

SK: Werden Bibliotheken auch in Zukunft noch relevant sein?

MS: Wenn sie so weitermachen, wie wir, ja [lacht]. Also das ist glaube ich der springende Punkt. Wenn sie sich an den Bedürfnisse der Bevölkerung orientieren, ohne das Erbe, oder banal gesagt, das Buch, aufzugeben. Das ist ja kein entweder oder sondern es ist beides. Und es gibt Phasen, da hat der Bestand das Vorrecht gehabt und dann kommt die Welle: jetzt hat der Raum das Vorrecht und es wird sich irgendwie einpendeln zu einem bestimmten Maß.

SK: Das ist eine schöne Zukunftsaussicht. Abschlißende Frage. Welche neuen Projekte oder Ideen gibt es, um die Stadtbibliothek Hannover als Treffpunkt und sozialen Ort noch stärker zu etablieren?

MS: Wir hatten zwei Jahre lang einen Raum unten, das war ein Garderobenraum, mit hässlichen Schränken [lacht], den haben wir leer geräumt und zum Experimentierraum gemacht und haben [diesen Raum] verschiedenen Akteuren zur Verfügung gestellt. Jeweils vier Monate. Da gab es einmal das Thema Job und Karriere. Da war das Jobcenter dabei und die Sparkasse hat den Jugendlichen erzählt, wie man ein Konto eröffnet, mit Geld umgeht. Das andere war die Artothek. Kennen Sie die?

SK: Ja, die kenne ich.

MS: Die war hier für vier Monate und hat den Raum völlig anders umgestaltet und hat hier eine ganz andere Atmosphäre reingebracht. [Danach hat die Artothek] eine andere Unterkunft bekommen und wir hatten dann wieder ein neues Projekt. Das wollen wir noch ein bisschen weitermachen, dass einfach die Menschen hierherkommen können und was machen können. Das wollen wir ausbauen. Die Projekte, die wir angefangen haben sind auch noch am laufen, es ist noch nicht zu Ende. Was unten im Experimentierraum startet, soll verstetigt werden. Die Methothek, startete auch im Experimentierraum und hat jetzt einen Ort bekommen. Genauso das Queere Wohnzimmer. Die Veranstaltungsreihe ist vorbei, aber für die Community sind wir weiter als Ort da, den sie eigenständig bespielen können. Das wird ein ideeller Ort werden, also das ist… wir haben so ein quietschbuntes Sofa aus dem Schauspielhaus. Haben Sie das gesehen? 

SK: Ja.

MS: [lacht] Ja, das ist ne Leihgabe, das Wohnzimmer ist jetzt auch aufgelöst. Aber wir haben gesagt, von der Idee zum Ort. Nee, umgekehrt. Vom Ort zur Idee. Also die Idee bleibt erhalten, so als Haltung oder als Statement oder als Raum für Aktion.

Fazit

Durch das Interview mit Michael Stünkel über Bibliotheken als Dritte Orte konnte ich wertvolle Einblicke gewinnen und besser verstehen, wie Bibliotheken der Zukunft den sozialen Aspekt in den Mittelpunkt stellen, um Gemeinschaft zu fördern. Besonders faszinierend ist, dass Bibliotheken ein besonders niedrigschwelliges Angebot schaffen, um als Dritte Orte zu fungieren. Man muss kein konkretes Ziel haben, um eine Bibliothek zu besuchen: Vielleicht schaut man sich einfach die Neuzugänge an, liest die Zeitung oder bringt Bücher zurück – und entdeckt plötzlich eine Veranstaltung, die einen zum Bleiben einlädt. Diese Ungezwungenheit ermöglicht es, soziale Teilhabe ohne die Verpflichtung zu erleben, gezielt an einem Angebot teilnehmen zu müssen. Dabei wurde deutlich, dass dieser Ansatz zwar nicht alle Bedürfnisse gleichermaßen erfüllen kann, jedoch essenziell für die Weiterentwicklung moderner Bibliotheken ist. Es ist ein Thema, das sich kontinuierlich wandelt und weiterentwickelt – eine Dynamik, die besonders spannend und bedeutsam bleibt. Weißt du, was dein Dritter Ort ist? Mache das Quiz und finde es heraus!

Dein Dritter Ort

Quellen
¹ Archive/Stadtbibliothek-Hannover/Veranstaltungen/Workshop-s-in-der-MethoThek-der-Stadtbibliothek-Hannover/Was-ist-die-MethoThek
² https://www.wirtschaftsfoerderung-hannover.de/de/Microsites/aufHof/aufhof.php
³ https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-
https://artothek-hannover.de/

Bildnachweise

https://www.pexels.com/de-de/foto/gruppe-von-personen-1472334/
https://www.mattynewton.com/
https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-Archive/Stadtbibliothek-Hannover
https://www.pexels.com/de-de/foto/person-die-weisse-kreide-halt-625219/
https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Meldungsarchiv-f%C3%BCr-das-Jahr-2024/%E2%80%9Eaufhof%E2%80%9C-soll-verl%C3%A4ngert-werden
https://artothek-hannover.de/

X-Ploration: Data Mining und Sentimentanalyse mit Hugging Face

Autor: Oguzhan-Burak Bozkurt


Durch den kontinuierlichen und raschen Fortschritt in jüngster Zeit auf den Gebieten von Big Data und KI-Technologien sind heutzutage insbesondere Teilbereiche des Informationsmanagements gefragter als je zuvor. Die Rolle des Informationsmanagers und Data Scientists besteht darin, Methoden zur Erfassung und Verarbeitung von Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen anzuwenden. Zudem ist er befähigt, Entscheidungen darüber zu treffen, welche Verarbeitungsprozesse zur gezielten Knowledge Discovery aus umfangreichen Datensätzen geeignet sind. Hierbei kommt Data Mining ins Spiel, eine Methode, die die systematische Extraktion relevanter Informationen und Erkenntnisse aus großen Datenmengen umfasst.

In diesem Blogbeitrag werden wir tiefer in das Thema eintauchen und uns einem von vielen Verfahren des Data Mining, genauer der Sentimentanalyse im Text Mining, praxisnah annähern. Dabei bin ich der Ansicht, dass ein tieferes Verständnis erreicht wird, wenn das theoretisch Gelernte eigenständig umgesetzt werden kann, anstatt lediglich neue Buzzwörter kennenzulernen. Ziel ist eine Sentimentanalyse zu Beiträgen auf der Social Media Plattform X (ehemals Twitter) mit Verfahren aus dem Machine Learning bzw. einem passenden Modell aus Hugging Face umzusetzen.

Ihr könnt euch in die Hintergründe einlesen oder direkt zum Coden überspringen.

  • Einführung: Data Mining ⛏️
  • ML-Based Text Mining 🤖
  • In my feelings mit Hugging Face 🤗
  • Let’s build! Sentimentanalyse mit Python 🐍

  • Einführung: Data Mining ⛏️

    Data Mining umfasst die Extraktion von relevanten Informationen und Erkenntnissen aus umfangreichen Datensammlungen. Ähnlich wird auch der Begriff „Knowledge Discovery in Databases“ (KDD) verwendet. Die Hauptaufgabe besteht darin, Verhaltensmuster und Prognosen aus den Daten zu identifizieren, um darauf basierend Trends zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Dieser analytische Prozess des Data Mining erfolgt mithilfe von computergestützten Methoden, deren Wurzeln in den Bereichen Mathematik, Informatik und insbesondere Statistik liegen. Data Mining kann als Teilprozess innerhalb des umfassenden Datenanalyseprozesses verstanden werden, der folgendermaßen strukturiert ist:

  • Datenbereinigung (Exkludierung von irrelevanten Daten)
  • Datenintegration (Zusammenführen mehrerer Datenquellen)
  • Datenselektion (Auswahl relevanter Daten aus einer Datenbank)
  • Datentransformation (Aufbereitung/Konsolidierung der Daten in eine für das Data Mining passende Form)
  • Data Mining (Prozess gestützt von intelligenten Methoden zum Extrahieren von Daten-/Verhaltensmustern)
  • Pattern Evaluation (Identifikation interessanter Muster und Messwerte)
  • Knowledge Presentation (Präsentieren von mined knowledge durch Visualisierung und andere Repräsenationstechniken)
  • Data Mining als Teilprozess der Knowledge Discovery / Jiawei Han, Data Mining: Concepts and Techniques (2006)

    Die Data Mining Verfahren dienen dazu, den Datenbestand zu beschreiben und zukünftige Entwicklungen vorherzusagen. Hierbei kommen Klassifikations- und Regressionsmethoden aus dem statistischen Bereich zum Einsatz. Zuvor ist es jedoch notwendig, die Zielvariable festzulegen, die Daten aufzubereiten und Modelle zu erstellen. Die gebräuchlichen Methoden ermöglichen die Analyse spezifischer Kriterien wie Ausreißer- und Clusteranalyse, die Verallgemeinerung von Datensätzen, die Klassifizierung von Daten und die Untersuchung von Datenabhängigkeiten.

    Zusätzlich zu den herkömmlichen statistischen Methoden können auch Deep Learning-Algorithmen verwendet werden. Hierbei werden Modelle aus dem Bereich des Machine Learning unter Anwendung von überwachtem (bei gelabelten Daten) oder unüberwachtem (bei nicht gelabelten Daten) Lernen eingesetzt, um die Zielvariablen möglichst präzise vorherzusagen. Eine wesentliche Voraussetzung für das Vorhersagemodell ist ein Trainingsdatensatz mit bereits definierten Zielvariablen, auf den das Modell anschließend trainiert wird.


    ML-Based Text Mining 🤖

    Ein Teilbereich des Data Mining, der auch maßgeblich maschinelles Lernen einbezieht, ist das Text Mining. Hierbei zielt das Text Mining darauf ab, unstrukturierte Daten aus Texten, wie beispielsweise in sozialen Netzwerken veröffentlichte Inhalte, Kundenbewertungen auf Online-Marktplätzen oder lokal gespeicherte Textdateien, in strukturierte Daten umzuwandeln. Für das Text Mining dienen oft Datenquellen, die nicht direkt zugänglich sind, weshalb Daten über APIs oder Web-Scraping beschafft werden. Im darauf folgenden Schritt werden Merkmale (Features) gebildet und die Daten vorverarbeitet. Hierbei erfolgt die Analyse der Texte mithilfe von natürlicher Sprachverarbeitung (Natural Language Processing – NLP) unter Berücksichtigung von Eigenschaften wie Wortfrequenz, Satzlänge und Sprache.

    Maschinelles Lernen für Datenvorverarbeitung

    Die Vorverarbeitung der Daten wird durch Techniken des maschinellen Lernens ermöglicht, zu denen Folgendes gehört:

  • Tokenisierung: Hierbei werden die Texte in kleinere Einheiten wie Wörter oder Satzteile, sogenannte Tokens, aufgespalten. Das erleichtert die spätere Analyse und Verarbeitung.
  • Stoppwortentfernung: Häufige Wörter wie „und“, „oder“ oder „aber“, die wenig spezifische Informationen liefern, werden entfernt, um die Datenmenge zu reduzieren und die Analyse effizienter zu gestalten.
  • Wortstamm- oder Lemmatisierung: Die Formen von Wörtern werden auf ihre Grundformen zurückgeführt, um verschiedene Variationen eines Wortes zu einer einzigen Form zu konsolidieren. Zum Beispiel werden „läuft“, „lief“ und „gelaufen“ auf „laufen“ reduziert.
  • Entfernen von Sonderzeichen und Zahlen: Nicht-textuelle Zeichen wie Satzzeichen, Symbole und Zahlen können entfernt werden, um die Texte auf die reinen sprachlichen Elemente zu fokussieren.
  • Niedrige Frequenzfilterung: Seltene Wörter, die in vielen Texten nur selten vorkommen, können entfernt werden, um Rauschen zu reduzieren und die Analyse zu verbessern.
  • Wortvektorenbildung: Durch Techniken wie Word Embeddings können Wörter in numerische Vektoren umgewandelt werden, wodurch maschinelles Lernen und Analyseverfahren angewendet werden können.
  • Named Entity Recognition (NER): Diese Technik identifiziert in Texten genannte Entitäten wie Personen, Orte und Organisationen, was zur Identifizierung wichtiger Informationen beiträgt.
  • Sentimentanalyse: Diese Methode bewertet den emotionalen Ton eines Textes, indem sie versucht, positive, negative oder neutrale Stimmungen zu erkennen.
  • Textklassifikation: Mithilfe von Trainingsdaten werden Algorithmen trainiert, um Texte automatisch in vordefinierte Kategorien oder Klassen einzuteilen.
  • Topic Modeling: Diese Methode extrahiert automatisch Themen aus Texten, indem sie gemeinsame Wörter und Konzepte gruppiert.
  • Insgesamt kann der Text Mining-Prozess als Teil einer breiteren Datenanalyse oder Wissensentdeckung verstanden werden, bei dem die vorverarbeiteten Textdaten als Ausgangspunkt für weitere Schritte dienen.

    The effort of using machines to mimic the human mind has always struck me as rather silly. I would rather use them to mimic something better.

    Edsger Wybe Dijkstra

    In unserem nächsten Abschnitt werden wir auf die Sentimentanalyse eingehen und schrittweise demonstrieren, wie sie mit Hilfe von Modellen auf Hugging Face für Beiträge auf der Plattform X (ehemalig Twitter) durchgeführt werden kann.


    In my feelings mit Hugging Face 🤗

    Das 2016 gegründete Unternehmen Hugging Face mit Sitz in New York City ist eine Data Science und Machine Learning Plattform. Ähnlich wie GitHub ist Hugging Face gleichzeitig ein Open Source Hub für AI-Experten und -Enthusiasten. Der Einsatz von Huggin Face ist es, KI-Modelle durch Open Source Infrastruktur und Repositories für die breite Maße zugänglicher zu machen. Populär ist die Plattform unter anderem für seine hauseigene Open Source Bibliothek Transformers, die auf ML-Frameworks wie PyTorch, TensorFlow und JAX aufbauend verschiedene vortrainierte Modelle aus den Bereichen NLP, Computer Vision, Audio und Multimodale anhand von APIs zur Verfügung stellt.

    Drake Meme by me

    Für die Sentimentanalyse stehen uns über 200 Modelle auf der Plattform zur Verfügung. Wir werden im folgenden eine einfache Sentimentanalyse unter Verwendung von Transformers und Python durchführen. Unsere KI soll am Ende Ton, Gefühl und Stimmung eines Social Media Posts erkennen können.

    Viel Spaß beim Bauen! 🦾


    Let’s build! Sentimentanalyse mit Python 🐍

    Zunächst brauchen wir Daten aus X/Twitter. Da im Anschluss auf die neuen Richtlinien die Twitter API jedoch extrem eingeschränkt wurde (rate limits, kostenspielige read Berechtigung) und es nun auch viele Scraping-Methoden getroffen hat, werden wir bereits vorhandene Daten aus Kaggle verwenden.

    1. Datenbereitstellung: Kaggle

    Wir entscheiden uns für einen Datensatz, der sich für eine Sentimentanalyse eignet. Da wir mit einem Text-Mining Modell in Transformers arbeiten werden, welches NLP verwendet um das Sentiment eines Textes zuordnen zu können, sollten wir uns für einen Datensatz entscheiden, in dem sich Texte für unsere Zielvariable (das Sentiment) befinden.

    Hier kann ein Datensatz aus Kaggle verwendet werden, in dem über 80 Tausend englische Tweets über das Thema „Crypto“ in dem Zeitraum vom 28.08.2022 – 29.08.2022 gesammelt wurde: 🐦 🪙 💸 Crypto Tweets | 80k in English | Aug 2022 🐦 🪙 💸

    Wir laden das Archiv herunter und entpacken die crypto-query-tweets.csv in unseren Projektordner.

    2. Zielsetzung und Datenvorverarbeitung: Python + Pandas

    Wir wollen in einer überschaubaren Anzahl an Tweets das jeweilige Sentiment zuordnen. Dazu schauen wir uns den Datensatz aus der CSV Datei genauer an. Uns interessieren dabei besonders Tweets von verifizierten Usern. Mit der Pandas Bibliothekt läss sich der Datensatz in Dataframes laden und nach bestimmten kriterien filtern.

    wir installieren zunächst per pip-install die gewünschte Bibliothek und importieren diese in unsere Codebase.

    pip install pandas

    Anschließends lesen wir die CSV-Datei ein und filtern entsprechend unseren Wünschen den Datensatz und geben diesen als Dataframe aus.

    import pandas as pd
    
    # CSV Datei lesen
    csv_file_path = "crypto-query-tweets.csv"
    df = pd.read_csv(csv_file_path, usecols=['date_time', 'username', 'verified', 'tweet_text'])
    
    # Filter anwenden um nur verifizierte User zu erhalten
    filtered_df = df[df['verified'] == True]
    
    # Printe Dataframe
    print(filtered_df)

    Wir erhalten folgende Ausgabe von 695 Zeilen und 4 Spalten:

           date_time                     username        verified    tweet_text
    19     2022-08-29 11:44:47+00:00     RR2Capital      True  #Ethereum (ETH)\n\nEthereum is currently the s...24     2022-08-29 11:44:45+00:00     RR2Capital      True  #Bitcoin (BTC)\n\nThe world’s first and larges...
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    79995  2022-08-28 12:27:46+00:00  BloombergAsia      True  Bitcoin appeared stuck around $20,000 on Sunda...
    
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    3. Twitter-roBERTa-base for Sentiment Analysis + TweetEval

    Nun können wir mit Hugging Face Transformers eine vortrainiertes Modell verwenden, um allen Tweets entsprechende Sentiment Scores zuzuweisen. Wir nehmen hierfür das Modell Twitter-roBERTa-base for Sentiment Analysis, welches mit über 50 Millionen Tweets trainiert wurde und auf das TweetEval Benchmark für Tweet-Klassifizierung aufbaut. Weitere Infos unter dieser BibTex entry:

    @inproceedings{barbieri-etal-2020-tweeteval,
        title = "{T}weet{E}val: Unified Benchmark and Comparative Evaluation for Tweet Classification",
        author = "Barbieri, Francesco  and
          Camacho-Collados, Jose  and
          Espinosa Anke, Luis  and
          Neves, Leonardo",
        booktitle = "Findings of the Association for Computational Linguistics: EMNLP 2020",
        month = nov,
        year = "2020",
        address = "Online",
        publisher = "Association for Computational Linguistics",
        url = "https://aclanthology.org/2020.findings-emnlp.148",
        doi = "10.18653/v1/2020.findings-emnlp.148",
        pages = "1644--1650"
    }

    Wir installieren alle für den weiteren Verlauf benötigten Bibliotheken.

    pip install transformers numpy scipy

    Die Transformers Bibliothekt erlaubt uns den Zugriff auf das benötigte Modell für die Sentimentanalyse. Mit scipy softmax und numpy werden wir die Sentiment Scores ausgeben mit Werten zwischen 0.0 und 1.0, die folgendermaßen für alle 3 Labels ausgegeben werden:

    Labels: 0 -> Negative; 1 -> Neutral; 2 -> Positive

    Importieren der Bibliotheken:

    from transformers import AutoModelForSequenceClassification
    from transformers import AutoTokenizer
    import numpy as np
    from scipy.special import softmax
    import csv
    import urllib.request

    Wir schreiben eine Methode zum vorverarbeiten des Texts. Hier sollen später Usernamen und Links aussortiert werden. Außerdem vergeben wir das gewünschte Modell mit dem gewünschten Task (’sentiment‘) in eine vorgesehene Variable und laden einen AutoTokenizer ein, um später eine einfach Eingabe-Enkodierung zu generieren.

    # Vorverarbeitung des texts 
    def preprocess(text):
        new_text = []
     
     
        for t in text.split(" "):
            t = '@user' if t.startswith('@') and len(t) > 1 else t
            t = 'http' if t.startswith('http') else t
            new_text.append(t)
        return " ".join(new_text)
    
    
    task='sentiment'
    MODEL = f"cardiffnlp/twitter-roberta-base-{task}"
    
    tokenizer = AutoTokenizer.from_pretrained(MODEL)
    

    Als nächstes laden wir das Label Mapping aus TweetEval für das zugeordnete Task ’sentiment‘ herunter. Das Modell für die Sequenzklassifizierung kann nun gespeichert und in der ‚model‘ Variable hinterlegt werden.

    # download label mapping
    labels=[]
    mapping_link = f"https://raw.githubusercontent.com/cardiffnlp/tweeteval/main/datasets/{task}/mapping.txt"
    with urllib.request.urlopen(mapping_link) as f:
        html = f.read().decode('utf-8').split("\n")
        csvreader = csv.reader(html, delimiter='\t')
    labels = [row[1] for row in csvreader if len(row) > 1]
    
    # Modell laden
    model = AutoModelForSequenceClassification.from_pretrained(MODEL)
    model.save_pretrained(MODEL)
    

    Im nächsten Schritt schreiben wir zwei Methoden, die dabei helfen sollen zeilenweise Tweet-Texte zu enkodieren und ein Sentiment Score zu vergeben. In einem Array sentiment_results legen wir alle Labels und entsprechende Scores ab.

    # Sentiment Scores für alle Tweets erhalten
    def get_sentiment(text):
        text = preprocess(text)
        encoded_input = tokenizer(text, return_tensors='pt')
        output = model(**encoded_input)
        scores = output.logits[0].detach().numpy()
        scores = softmax(scores)
        return scores
    
    # Sentimentanalyse für jede Zeile im Datensatz anwenden
    def analyze_sentiment(row):
        scores = get_sentiment(row['tweet_text'])
        ranking = np.argsort(scores)
        ranking = ranking[::-1]
        sentiment_results = []
        for i in range(scores.shape[0]):
            l = labels[ranking[i]]
            s = scores[ranking[i]]
            sentiment_results.append((l, np.round(float(s), 4)))
        return sentiment_results

    Zum Schluss wir das Dataframe um unser Ergebnis erweitert. Hierzu erstellen wir eine neue Spalte ’sentiment‘ und fügen mit der apply-Funktion die Ergebnisse aus unserer vorherigen Methode analyze_sentiement hinzu. Am Ende geben wir unser neues Dataframe in der Konsole aus.

    # Ergebnisse in neue Spalte "sentiment" speichern
    filtered_df['sentiment'] = filtered_df.apply(analyze_sentiment, axis=1)
    
    # Ausgabe des neuen DataFrames
    print(filtered_df)

    Wir erhalten ein neues Dataframe mit einer weiteren Spalte in der das Label und die Sentiment-Scores festgehalten werden! 🤗🚀

    Den gesamten Code könnt ihr euch auch auf meinem GitHub Profil ansehen oder klonen.


    Referenzen

    Han, Jiawei (2006). Data Mining: Concepts and Techniques, Simon Fraser University.

    Barbieri, F., Camacho-Collados, J., Espinosa Anke, L., & Neves, L. (2020). Tweet Eval: Unified Benchmark and Comparative Evaluation for Tweet Classification. In Findings of the Association for Computational Linguistics: EMNLP 2020, S. 1644-1650. https://aclanthology.org/2020.findings-emnlp.148.

    Hugging Face Transformers: https://huggingface.co/docs/transformers/index. Zuletzt aktualisiert am 27.08.2023.

    Kaggle Dataset: Leonel do Nascimento, Tiago; „Crypto Tweets | 80k in ENG | Aug 2022 „: https://www.kaggle.com/datasets/tleonel/crypto-tweets-80k-in-eng-aug-2022. (CC0 Public Domain Lizens), zuletzt aktualisiert am 27.08.2023.

    Wartena, Christian & Koraljka Golub (2021). Evaluierung von Verschlagwortung im Kontext des Information Retrievals. In Qualität in der Inhaltserschließung, 70:325–48. Bibliotheks- und Informationspraxis. De Gruyter, 2021. https://doi.org/10.1515/9783110691597.


    KI und die Sicherheit von Smart-Home-Systemen

    Autorin: Eliza SchnetzerKI


    „Smart Home“ @Smart Home Haus Technik – Kostenloses Foto auf Pixabay

    KI

    Inhaltsverzeichniss

    Wie auch in vielen anderen Bereichen der Technik macht auch das Internet of Things (IoT) große Entwicklungsschritte. Dazu gehören auch sogenannte Smart-Home-Systeme, die eine immer weitere Verbreitung in deutschen Haushalten finden. Aus den vielseitigen Anwendungsbereichen ergeben sich neben komfortablen Alltagshilfen auch einige Fragen zur Sicherheit, gerade hinsichtlich Datenschutzes und Künstliche Intelligenz (KI) . In diesem Artikel sollen einige der Sicherheitslücken aufgedeckt und Lösungsansätze erläutert werden.

    KI, was ist das eigentlich?

    Immer häufiger hört man heutzutage diesen Begriff, aber was zeichnet die KI eigentlich aus? Normalerweise verarbeitet eine Maschine stumpf Daten. Eine KI ist allerdings in der Lage bestimmte Muster zu erlernen, um Entscheidungen auf der Basis von Informationen zu treffen. Dieses Vorgehen nennt man „Machine Learning“. Damit ist eine menschenähnliche kognitive Leistung möglich. Übertragen wir das auf unsere Smart-Home-Systeme bedeutet, dass, die Geräte erlernen unsere Verhaltensmuster und reagieren entsprechend darauf. Der aktuelle technische Stand ermöglicht das noch nicht umfangreich, zielt aber darauf ab. Bislang entscheiden sind das Erkennen und Befolgen von Wenn-Dann-Regeln.

    KI im eigenen Zuhause:

    @Smartest Home 2020

     

    Smart-Home-Anwendungen bieten einige Vorteile

    Smart-Home-Anwendungen haben einige Vorteile zu bieten, andernfalls würden sie sich nicht immer wachsender Beliebtheit erfreuen. Dazu gehören unter anderem:

    • Erhöhter Komfort: viele Aufgaben müssen nicht mehr selbst erledigt werden, sondern werden bequem von den Smart-Home Anwendungen übernommen. Beispiele hierfür sind z.B. das Saugen von Böden, Rasen mähen oder das automatische Angehen der Kaffeemaschine am Morgen
    • Vereinfachte Bedienung: durch die Steuerung per App kann man alle Anwendungen aus einer Stelle heraus bedienen, noch einfacher wird das Ganze mit Spracherkennung/Sprachbefehlen
    • mehr Sicherheit: durch das vernetzte System kann der Besitzer durch Push-Nachrichten auf sein Handy informiert werden, wenn z.B. ein Alarm ausgelöst wird. Gleichzeitig kann ein ausgelöster Alarm dazu führen, dass sich Türen und Fenster verriegeln
    • Senkung des Energieverbrauch: Geräte sind so programmiert, dass sie möglichst wenig Strom verbrauchen. So kann man z.B. mit Hilfe von einem Timer einstellen, wann das Licht ausgehen soll

    Sicherheitslücken in den Systemen

    Die komplexe technische Vernetzung bringt auch einige Risiken mit sich, wie sich in den Bereichen des Datenschutzes und der IT-Sicherheit zeigt. Die Smart-Home-Anwendungen sind durchgehend mit dem Internet verbunden. Das macht sie sehr anfällig für den unautorisierten Zugriff durch Hackerangriffe, die sich so den Zugriff zu sämtlichen Geräten in einem Haushalt verschaffen können. Um das zu vermeiden ist das regelmäßige Durchführen von Updates essenziell. Viele Risiken entstehen durch den Anwender selbst. So können fehlende technische Vorkenntnisse und die daraus resultierenden Bedienungsfehler zu schwerwiegenden Sicherheitslücken führen. Daher ist es wichtig, sich mit der Technik der Geräte auseinander zu setzen und ggfs. nochmal die richtige Funktionsweise zu überprüfen. Es stellt sich zudem die Frage, inwiefern die Daten gespeichert und verarbeitet werden. Das ist oft nicht transparent für den Benutzer, und da es sich um sensible personenbezogene Daten wie Kameraaufzeichnungen handelt, ist dieser Punkt nicht zu missachten.

    Personenbedingte Fehler

    Neben den technischen Fehlerquellen können natürlich auch von Menschenhand erzeugte Fehler Sicherheislücken hervorrufen. Zum einen ist es wichtig, dass sich Anwender vor der Anschaffung intensiv mit der Technik befassen. Oftmals scheitert es an fehlender Planung und das dem Informationsmangel über die Anwendung. Das kann wiederrum zu Anwendungsfehlern führen, die schwerwiegende Sicherheitsmängel bilden können. Wir tendieren oft dazu, zu günstigeren Alternativen zu greifen, was in diesem Fall aber eine fehlende Sicherheitszertifizierung bedeutet und ebenfalls vermehrt Sicherheitslücken aufweißt. Eine noch ausführlichere Hilfe bietet der folgende Artikel: Diese 5 Fehler machen fast alle Smart Home Einsteiger (homeandsmart.de)

    Einfacher Schutz im Alltag

    Wie kann ich mich also vor den vielfältigen Angriffsmöglichkeiten schützen? Es sind eigentlich ein paar ganz simple Tipps, wie man den Sicherheitsstandard der Smart-Home-Anwendung hochhält:

    • keinen direkten Internetzugriff: ist ein System direkt mit dem Internet verbunden, ist es leichter für z.B. Hacker dieses zu finden und zu hacken. Am sichersten ist es, denn Zugriff über ein VPN zu nutzen
    • System regelmäßig aktualisieren: für jedes System gibt es reglemäßig Updates, diese sollte man zeitnah durchführen um Bugs und Fehler in der Software zu beheben.
    • sichere Passwörter: ein simpler, aber oft missachteter Tipp ist es, ein sicheres Passwort zu vergeben, dass eine Kompination aus Groß- und Kleinschrift, Sonderzeichen und Zahlen beinhaltet. Dieses sollte in regelmäßigen Abständen geändert werden.
    • unnötige Dienste ausschalten: schalten Sie nicht benötigte Anwendungen aus, denn was nicht läuft, kann nicht angegriffen werden

    Fazit: trotz Sicherheitslücken wachsender Trend mit Luft nach oben

    Was lässt sich nun abschließend festhalten? Wenn man einige grundlegende Sicherheitsvorkehrungen beachtet und sich selbst mit den technischen Anwendungen befasst bieten Smart-Home-Anwendungen eine gute Möglichkeit sich den Alltag einfacher zu gestalten. Smart-Home-Anwendungen stehen noch relativ am Anfang ihrer technischen Möglichkeiten und sind auch noch lange kein fester Bestandteil in einem durchschnittlichen Haushalt. Auch die Zukunftserwartungen sind noch nicht erfüllt worden.

    «Wir glaubten damals, dass es eine allmächtige, zentrale Intelligenz geben werde, die je nach Stimmung eine automatische Lichtauswahl trifft, ohne unser Zutun Essen für den Kühlschrank nachbestellt und so weiter. Diese Vision ist nicht eingetreten, zumal die Installation und Konfiguration einer einzigen, zentralen Lösung viel zu komplex wäre. Stattdessen gibt es heute viele partielle Lösungen, beispielsweise für die Beleuchtung, die Soundanlagen oder die Sicherheit.»

    Zitat von Dr. Andrew Paice, Leiter vom iHomeLab

    weiterführende Informationen gibt es hier:

    Quellen- und Literaturverzeichnis

    Beitragsbild: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay