Dritte Orte

Autorin: Smilla Kolbe


Der Begriff „Dritter Ort“ wurde von Ray Oldenburg geprägt und beschreibt Orte, die als Ausgleich zu Familie und Beruf dienen. Aus einer amerikanischen Perspektive schaut Oldenburg sehnsüchtig nach Europa – Hier gibt es Pubs, Kaffeehäuser und Biergärten. Aber was ist eigentlich mit Bibliotheken?

The wonder is that so little attention has been paid to the benefits attaching to the third place. It is curious that its features and inner workings have remained virtually undescribed in this present age when they are so sorely needed and when any number of lesser substitutes are described in tiresome detail. Volumes are written on sensitivity and encounter groups, on meditation and exotic rituals for attaining states of relaxation and transcendence, on jogging and massaging. But the third place, the people’s own remedy for stress, loneliness, and alienation, seems easy to ignore.

– Ray Oldenburg, the great good place

Was sind Dritte Orte?

Um die Frage zu beantworten, ist es zunächst wichtig, die Eigenschaften des ersten und zweiten Ortes zu definieren. Der erste Ort beschreibt das Zuhause – ein persönlicher Rückzugsort, in dem die engsten Beziehungen gepflegt werden. Es handelt sich dabei um einen informellen Raum, der zugleich Schutz und Geborgenheit bietet, jedoch auch isolierend wirken kann. Der zweite Ort hingegen steht für das berufliche oder akademische Umfeld. Dieser Raum ist geprägt von Produktivität, Verantwortung und klaren Strukturen. Hier zählt weniger die individuelle Persönlichkeit als vielmehr die Erfüllung von Pflichten und die eigene Leistungsfähigkeit. Dritte Orte unterscheiden sich grundlegend von diesen beiden: Dritte Orte sind Räume der Gemeinschaft, in dem Menschen ungezwungen zusammenkommen können. Gesellschaftliche Merkmale wie Status oder Herkunft spielen hier keine Rolle und werden symbolisch an der Eingangstür abgelegt – ähnlich wie ein Mantel an der Garderobe eines Theaters oder Clubs. Diese neutrale Atmosphäre schafft die Grundlage für ein soziales Miteinander, das frei von äußeren Zuschreibungen ist.

Dritte Orte und ihr Hintergrund

Während meines Studiums bin ich auf das Konzept der „Dritten Orte“ gestoßen und war sofort fasziniert von ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Besonders Bibliotheken als dritte Orte haben mich angesprochen, da sie nicht nur Räume des Wissens, sondern auch der Begegnung und des Austauschs sind. In einer Zeit, in der Technologienutzung oft den direkten Kontakt mit Menschen ersetzt, halte ich solche Orte für unverzichtbar. Sie bieten die Möglichkeit, echte Gemeinschaft zu erleben und fördern das persönliche Wachstum, das nur durch zwischenmenschliche Interaktionen entstehen kann. Das Konzept der dritten Orte geht auf Ray Oldenburg (7. April 1932 – 21. November 2022) zurück. Oldenburg war ein amerikanischer Soziologe, der die Bedeutung informeller öffentlicher Treffpunkte für eine funktionierende Zivilgesellschaft, Demokratie und bürgerschaftliches Engagement betonte. Er prägte den Begriff des „Third Place“ (Dritter Ort) und schrieb das Buch The Great Good Place, das 1989 von der New York Times Book Review als Editor’s Choice ausgezeichnet wurde. 2001 veröffentlichte er zudem Celebrating The Third Place, das die Rolle und Bedeutung dritter Orte weiter vertieft.

Warum eignen sich gerade Bibliotheken als Dritte Orte?

Um dies genauer zu beleuchten, habe ich mir fachnahe Unterstützung geholt. Ich hatte die Gelegenheit, mit Herrn Michael Stünkel, dem Leiter der Zentralbibliothek Hannover, zu sprechen. Herr Stünkel arbeitet seit 1999 in der Stadtbibliothek Hannover und konnte gute Einblicke in die Transformation der öffentlichen Bibliotheken zu einem „Dritten Ort“ geben. Möchtest du das Interview lesen oder erstmal herausfinden, was dein Dritter Ort ist?

© Zentralbibliothek Hannover

Zentralbibliothek Hannover

Betritt man die Zentralbibliothek Hannover, sieht man hier und da Menschen, die Zeitung lesen und Kaffee trinken. Man hört die Schüler, die ihre Hausaufgaben erledigen. All das erstreckt sich über fünf Etagen, die durch eine innenliegende Treppe miteinander verbunden sind. Die Zentralbibliothek Hannover ist offen und lebendig.

Bibliotheken umzugestalten bzw. anders zu führen bringt mehr Arbeit mit sich – das Büro von Herrn Stünkel ist chaotisch. Bücher und Papier stapeln sich. Das war nicht immer so, sagt Stünkel. Wandel heißt Arbeit.

Interview mit Michael Stünkel, Leiter der Zentralbibliothek Hannover
Smilla Kolbe (SK): Welche Funktion erfüllt Ihre Bibliothek für die Gemeinschaft abseits des klassischen Lesens und der Medienausleihe?

Michael Stünkel (MS): Ja, Klassisch ist [es] schon fast, ein „Dritter Ort“ zu sein. Ein Treffpunkt zu sein, Austausch zu haben untereinander. Manchmal auch allein in Gemeinschaft sein, also wir beobachten hier viele Menschen die hier einzeln sitzen, aber es genießen, das rundherum auch Menschen einzeln sitzen und so kommt man ins Gespräch. Also der Ort des Treffpunkts, auch der Auseinandersetzung. Es gibt hier viele Veranstaltungsformate, wo diskutiert wird – kontrovers diskutiert wird. [Diese Veranstaltungen] kann man konsumieren, man kann aber auch mitmachen.

SK: Was sind das für Veranstaltungen?

MS: Wir machen zu bestimmten Themen Diskussionsveranstaltungen. Literarische Lesungen eher weniger, weil das in Hannover anders abgedeckt ist. Zum Beispiel zum Tag der Demokratie oder zum Tag der Bibliotheken. Wir hatten jetzt das Queere Wohnzimmer für vier Monate mit Workshops Lesungen, Diskussionen und Beratungsterminen rund um das Thema in unserem Haus.

© Zentralbibliothek Hannover

SK: Was bedeuten Dritte Orte für Sie im Zusammenhang mit Bibliotheken? Wahrscheinlich genau das, oder?

MS: Genau das. Der klassische Ort zwischen Zuhause und Arbeit. Nicht kommerziell, ohne Verzehrzwang, niederschwellig zu benutzen, gute Öffnungszeiten [lacht]. Das ist auch ein Punkt, an dem wir weiter arbeiten. Wir haben jetzt die Öffnungszeiten Anfang des Jahres von 11 Uhr bis 19 Uhr auf 9 Uhr bis 19 Uhr erweitert. 

SK: Wie werden die neuen Öffnungszeiten angenommen?

MS: Die werden sehr gut angenommen. Ganz schnell ging das. Wir haben im Januar angefangen, in der Hoffnung, ein bisschen zu üben, bis die Leute das alle mitbekommen haben, dass sie früher kommen können. Es waren aber relativ schnell sehr gute Zahlen.

SK: Schön, dass das so gut funktioniert. Ich hab mir ein paar Interviews mit anderen Bibliothekaren, die von Bibliotheken nicht als Orte, sondern als Konzepte gesprochen haben, angesehen. Also insofern, dass die Räumlichkeiten geboten durch die Bibliothek werden und dann die Gemeinschaft etwas eigenes draus macht. Würden Sie dieser Aussage zustimmen? Trifft das auf die Stadtbibliothek Hannover zu?

MS: Ja, da sind wir gerade dabei. Wir haben zum Beispiel das Repair-Café. [Das] ist etwas, was auf uns zugekommen ist und von Ehrenamtlichen, insbesondere von einer Person, [betrieben wird]. Das bedeutete eine gewisse Anlaufzeit und inzwischen läuft es vollkommen ohne uns. Ein wenig organisatorische Arbeit durch den Hausdienst, aber nachdem wir Versicherungsfragen, Datenschutz und solche Sachen geklärt hatten, organisiert sich das selber. [Die Veranstalter des Repair-Café] sind einmal im Monat hier. Das versuchen wir mit anderen Konzepten auch umzusetzen. Zum Beispiel die Methothek, kein ganz schönes Wort [lacht], aber gemeint ist damit, dass Menschen die etwas können zum Thema Coaching, Kommunikationstraining, Selbstoptimierung im positiven Sinne, Bewerbungsgespräche vorbereiten,… andere Menschen bei ihrem Vorhaben unterstützen. Diese Personen kommen zu einem bestimmten Tag und machen eine Coffee-Lecture, also kleine Vorträge, aber auch mit Beteiligung der Teilnehmer. Da wünschen wir uns auch, dass sich das mehr verselbstständigt. Wir organisieren das bisher, wir akquirieren auch die Vortragenden, aber es sieht so aus, als würde das auch eine Eigendynamik bekommen, sodass das Bibliotheksbenutzer für Bibliotheksbenutzer dann anbieten.

SK: Also selbstverwaltet dann quasi.

MS: Ja genau. Und da gibt es mehrere Sachen, die auf diese Schiene gestellt werden sollen.

SK: Interessant. Man braucht ein hohes Vertrauen in die Leute, dass das alles so funktioniert, oder?

MS: Ja, unbedingt. Daran muss man auch bei den Kollegen etwas arbeiten. Aber das ist relativ schnell aufgebaut, dieses Vertrauen, wenn sich bewahrheitet, dass nichts passiert. Also, alle wollen ja was Gutes.

SK: Sie meinten im Vorgespräch bereits, dass hier nicht alles neu gebaut werden kann, aber auch, dass sie sich Räume schaffen wollen, sodass die Zentralbibliothek Hannover zu einem „Dritten Ort“ wird. Haben Sie sich da bestimmte Kriterien bei der räumlichen Gestaltung aufgestellt um eine einladende Atmosphäre zu schaffen?

MS: Mehrere Kriterien. Durch die Haushaltssituation, oder überhaupt auch durch nachhaltiges Handeln, was auch zu unseren Leitthemen gehört, haben wir nicht neu gekauft, sondern „upgecycelt“, also vorhandenes Material umgebaut, weiter verwendet. Aber sehr radikal, also man sieht nicht unbedingt, dass das Regalsystem aus den 70er Jahren stammt, sondern es ist so neu gestaltet, dass es gut in die Zeit passt. Dann haben wir festgestellt, dass wir wenig, viel viel weniger Bestand brauchen, als wir oder auch viele andere gedacht haben. Wir haben nach festen bibliothekarischen Kriterien ganz viel Medien ausgesondert und dann Platz geschaffen [für eine einladende Atmosphäre]. Anstatt Bücherregale haben wir jetzt freie Flächen. Wir haben viele Einzelarbeitsplätze und Lernzonen geschaffen. [Wir] sind jetzt dabei, auch diese zu möblieren, Steckdosen nachzurüsten. Das ist in jeder Bibliothek, die nicht aus diesem Jahrzehnt stammt, immer eine offene Stelle, weil man hat damals nicht mit Steckdosen geplant.

SK: Warum auch.

MS: Ja, warum auch. Aber es ist ein großes Thema auch für die Kunden hier. Zusätzlich haben wir in einem Partizipationsprozess einerseits intern mit unseren Mitarbeitern aber auch extern mit (Nicht-)Nutzern eine Zukunftswerkstatt durchgeführt. Üblich mit Kritikphase, Utopiephase und abschließender Realisierungsphase. Außerhalb des Hauses auch. Da sollten die Teilnehmer sich die Bibliothek der Zukunft vorstellen. [Es gab] bestimmte Methoden. Einmal mit Lego Serious Play oder auch mit Mood-Boards. Jedenfalls extern moderiert, nicht, dass wir als Korrektur dabei waren. Die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt sind auch Kriterien für uns. Wir versuchen, die Vorstellung einer Bibliothek der Zukunft unserer Mitarbeiter, aber auch der Kunden und Nicht-Kunden, umzusetzen.

SK: Das fließt also auch in die Überlegung [der Gestaltung] mit ein?

MS: Ja, das war sogar auch oft Rechtfertigung oder Auslöser für bestimmte Sachen, die wir gemacht haben.

SK: Das ist ist sehr schön. Wie kommt die Gestaltung der Bibliothek bei den Nutzern an?

MS: Also einmal sieht man, dass das Haus voll ist. So verkehrt kann es also nicht gewesen sein [lacht]. Es gibt viel positive Resonanz zur Reduzierung der Medien, einerseits, natürlich gibt es aber da auch große Kritik.

SK: Ja?

MS: Also, das Aussondern von Büchern ist für manche Menschen einfach ein Tabu. Und das muss man natürlich auch aushalten. Und es ist auch kein demokratischer Abstimmungsprozess. Wer sich positiv oder negativ äußert, das ist nicht in Zahlen zu messen, sondern es sind nur die Menschen, die sich eben äußern. Was daraus resultiert ist, dass man merkt, wie positiv es angenommen wird, dass wir Veranstaltungen machen, die auch in der Öffnungszeit schon beginnen. Das haben wir früher nicht gemacht. Wir haben immer erst geschlossen und dann um 19.30 Uhr was angefangen. Das war personell aufwendig und außerdem war es auch für die Kunden oder die Besucher gar nicht so optimal. Jetzt bleiben sie zum Teil hier, kriegen mit, um 17 Uhr beginnt hier irgendwas, beteiligen sich sogar. Also, das hat einen echten Mehrwert und das spricht auch dafür, dass die Kunden das gut finden. Also es gibt eine positive Resonanz. 
Es gibt immer Einzelne, die sagen „Ich möchte hier meine Ruhe haben.“, aber auch dafür haben wir einen Raum geschaffen. Der zwar auch manchmal sehr gut gefüllt ist und dann wird es da doch lauter, aber wir sind immer noch dabei, die Zonen ein bisschen schärfer zu definieren.

SK: Gibt es Maßnahmen, um genau diese Balance zu halten, zwischen einem ruhigen Ort und einem belebten Ort?

MS: Das ist bei uns einfacher als in anderen Bibliotheken, weil wir gestapelt sind. Wir haben fünf Etagen. Andere Bibliotheken haben es eher in der Fläche und da ist es schwierig. Hier kann man schon die Etage ein bisschen anders definieren. Also im fünften Stock hinter dem Aufzug, das ist eine wunderschöne Ecke, da haben wir die Methothek angesiedelt. Die sind da für sich sozusagen. Dann gibt es Arbeitsräume mit Einzeltischen und Arbeitsräume mit Gruppenmöglichkeit. Das Untergeschoss, da sind wir jetzt dabei, da ist es auch noch mal stiller. [Dort] wollen wir Arbeitsplätze einrichten, aber eben auch ein bisschen gemütlichere, also keine Büroarbeitsplätze und nur Tisch und Stuhl, sondern auch mit ein bisschen Atmosphäre.

SK: Ich war schon einige Zeit vor unserem Termin da und habe so ein bisschen beobachtet, wer hier so reingeht, das scheint mir eine bunte Mischung zu sein. Gibt es dennoch eine Personengruppe, die die Bibliothek am häufigsten nutzt? Oder ist das schwer zu sagen?

MS: Das ist ein bisschen saisonabhängig, also die Sekundarstufe 2, die Schüler die Facharbeiten schreiben und vor dem Abitur stehen, das ist eine große Gruppe, die auch unheimlich fleißig ist [lacht]. Das ist aber nur eine Gruppe; es gibt viele mittelalte Erwachsene, die sich hier aufhalten. Es gibt auch trotzdem noch die typischen Romanleser…

SK: Sind noch nicht ausgestorben?

MS: Nee [lacht], die bedürfen auch einer besonderen Pflege, weil da ist der Inhalt eben nicht so objektivierbar, wie es jetzt gerade im Trend ist. Bei BWL braucht man das, bei Technik und EDV das… [Bei Romanen] muss schon ein fachlicher Input von uns kommen. Menschen in Ausbildung, Deutschlernende, ganz viel. Und Menschen, die einfach miteinander sprechen wollen, das sieht man auch. Erfassen kann man das schlecht. Da müsste man ja wirklich gucken, für wen hält man jemanden. Ist das ein Schüler oder ist das ein Auszubildender. Lernt [die Person] Deutsch oder ist sie schon viele Jahre hier und liest einfach irgendeine Fachzeitschrift? Also das ist schwierig.

SK: Gab es trotzdem Veränderungen im Laufe der Jahre von den Besuchern oder war das ähnlich, wie sie es jetzt beschrieben haben?

MS: Also diese Tendenz, dass junge Leute hier sind, die ist gestiegen. Das kann man sagen, ja. Leute mit einer höheren Lärmtoleranz auch. Das ist schon richtig trubelig hier. Da sagen manche – ich bin ja auch schon lange hier – viele ältere Kunden, das ihnen das hier jetzt oft auch zu laut ist. Nicht, weil es undiszipliniert laut ist, [es sind] einfach viele Menschen, die sich unterhalten. Das erhöht den Lärmpegel und das möchten manche nicht, aber das ist, glaube ich, die Minderheit.

SK: Dann bietet es sich mit den Etagen ja tatsächlich an, dass man diese thematisch gestaltet.

MS: Ja, wobei man trotzdem sagen muss, wir haben ja den großen Innenhof und alles ist offen, so [geschlossen] sind die Etagen dann doch nicht, aber es ist zumindest ein Angebot.

SK: Wie spricht die Stadtbibliothek Hannover Menschen an, die normalerweise wenig Zugang zu kulturellen oder sozialen Räumen haben?

MS: Also wir gehen zunehmend auch raus aus dem Haus. Kennen Sie das Aufhof-Projekt?

SK: Ja.

MS: Da waren wir auch, mit mäßigem Erfolg, aber wir waren da und das ist erstmal schon richtig [lacht]. Dann sind wir bei den Smart City Days dabei, bei jugendlichen Technikfreaks sozusagen [lacht], mit Robotik gehen wir um. Wir haben Anfang nächsten Jahres, Mitte nächsten Jahres, eine Technothek. Ganz kultur- und bildungsferne Menschen kriegen wir nur durch Kindergärten [und] Schulen oder durch andere Vermittler. Die Technothek soll eher die MINT-Fächer propagieren.

SK: Also Sie gehen dann auch aktiv in Schulen und Kindergärten?

MS: Ja, das ist aber schon lange Standard.

SK: Das ist dann nochmal niederschwelliger, oder?

MS: Ja. Und die Zielgruppen, auf die muss man eben oft zugehen. Man muss nicht um die Aufmerksamkeit betteln, sondern man muss sich einfach nur zeigen. Das ist ja oft das Problem, dass man nicht bekannt genug ist und wenn es dann bekannt wird, ist großes Erstaunen da. 

SK: Welche Herausforderungen bestehen denn bei der Etablierung der Bibliothek als Dritter Ort? Bezogen auf Ressourcen, Personal,… Wie ist da Ihre Einschätzung?

MS: Also Herausforderungen gibt es zum Teil an die Mitarbeiter, weil auch ein anderes Publikum kommt. Es kann Konflikte geben, weil die Auffassung, wie man sich in einer Bibliothek verhält, eben doch verschieden sein können. Ich will das aber gar nicht so betonen, weil das für mich erstens nicht so eklatant ist und zweitens nicht so viel ist. [Es ist] kein Grund, sich von dem Konzept der Bibliothek als sozialer Raum wieder abzuwenden, aber man muss es natürlich sehen. Das Thema Wohnungslosigkeit haben wir schon immer gehabt, damit muss man umgehen. Die kümmert es aber nicht, ob wir als Dritte Orte definieren oder nicht. Wenn es hier warm und trocken ist und draußen nass und kalt, dann kommen sie natürlich und sollen auch kommen, das ist völlig in Ordnung. Herausforderung sonst ist, dass es ein anderes Arbeiten ist. Also die klassische Auskunft zum Beispiel. Da kommt jemand und möchte wissen, wo steht welches Buch, das ist nicht mehr die Hauptarbeit.

SK: Sondern?

MS: Die meisten kommen dann mit ihrem Handy und sagen, ich hab das Buch recherchiert und brauchen nur einen Hinweis, wo das jetzt ist. Das geht aber auch mit einer Ausschilderung. Es ist eher, dass man auch diese ganzen Begegnungen etwas moderiert, die hier stattfinden. Sehr viel Komplikationen und extrovertierteres Verhalten als früher vielleicht [lacht]. Aber auch nicht zu viel Regeln. Man muss schon auch als Mitarbeiter, der hier im Hause arbeitet, zulassen können, dass zum Beispiel die Möbel flexibel genutzt werden.

SK: Dann habe ich noch eine Frage zur Digitalisierung. Inwiefern werden Bibliotheken als Dritte Orte durch aktuelle Entwicklungen wie Digitalisierung und veränderte Lesekulturen beeinflusst?

MS: Also es ist schon so, dass die Leute die Begegnung suchen, auch wenn sie das herkömmliche Bibliothekserleben nicht so haben, sondern ein anderes. Wir haben hier mehrere Personen, die um 9 Uhr kommen, mit ihrer Tasche und ihrem Laptop, und dann bis 14 Uhr hier sitzen, zwischendurch Kaffee trinken gehen, offenbar hier arbeiten. Also die nutzen den digitalen Raum, ein gutes WLAN, also eine relativ ideale Arbeitsatmosphäre. Man ist nicht allein und muss sich selber auch irgendwie disziplinieren. Aber Digitalisierung meinen Sie jetzt nicht [insofern als dass] wir die Medien digital zur Verfügung stellen?

SK: Vielleicht ist das auch eher eine persönliche Frage. Durch Social Media ist es schwerer, die Verbindung zu anderen Leuten aufrecht zu erhalten. Man lebt quasi halb im Internet. [In dem Rahmen interessiert es mich], ob die Bibliothek ein Raum sein kann, um die Gemeinschaft zu fördern.

MS: Die persönliche, dann?

SK: Ja, genau.

MS: Ja das könnte ich so bestätigen. Wir merken das zum Beispiel im Queeren Wohnzimmer. [Dort] hatten wir mehrere Lesungen mit hauptsächlich jungen Autoren, die offenbar eine Szene bedienen. Da kommen die Leute aus Oldenburg mit ihren Eltern, weil sie diese Person lesen/sehen/hören wollen und andere treffen [wollen], die [den Autor] auch toll finden. Also das Phänomen, Lesen, Vorlesen, Lesungen, ist schon dann auch wieder im Plus und im Fluß.

SK: Werden Bibliotheken auch in Zukunft noch relevant sein?

MS: Wenn sie so weitermachen, wie wir, ja [lacht]. Also das ist glaube ich der springende Punkt. Wenn sie sich an den Bedürfnisse der Bevölkerung orientieren, ohne das Erbe, oder banal gesagt, das Buch, aufzugeben. Das ist ja kein entweder oder sondern es ist beides. Und es gibt Phasen, da hat der Bestand das Vorrecht gehabt und dann kommt die Welle: jetzt hat der Raum das Vorrecht und es wird sich irgendwie einpendeln zu einem bestimmten Maß.

SK: Das ist eine schöne Zukunftsaussicht. Abschlißende Frage. Welche neuen Projekte oder Ideen gibt es, um die Stadtbibliothek Hannover als Treffpunkt und sozialen Ort noch stärker zu etablieren?

MS: Wir hatten zwei Jahre lang einen Raum unten, das war ein Garderobenraum, mit hässlichen Schränken [lacht], den haben wir leer geräumt und zum Experimentierraum gemacht und haben [diesen Raum] verschiedenen Akteuren zur Verfügung gestellt. Jeweils vier Monate. Da gab es einmal das Thema Job und Karriere. Da war das Jobcenter dabei und die Sparkasse hat den Jugendlichen erzählt, wie man ein Konto eröffnet, mit Geld umgeht. Das andere war die Artothek. Kennen Sie die?

SK: Ja, die kenne ich.

MS: Die war hier für vier Monate und hat den Raum völlig anders umgestaltet und hat hier eine ganz andere Atmosphäre reingebracht. [Danach hat die Artothek] eine andere Unterkunft bekommen und wir hatten dann wieder ein neues Projekt. Das wollen wir noch ein bisschen weitermachen, dass einfach die Menschen hierherkommen können und was machen können. Das wollen wir ausbauen. Die Projekte, die wir angefangen haben sind auch noch am laufen, es ist noch nicht zu Ende. Was unten im Experimentierraum startet, soll verstetigt werden. Die Methothek, startete auch im Experimentierraum und hat jetzt einen Ort bekommen. Genauso das Queere Wohnzimmer. Die Veranstaltungsreihe ist vorbei, aber für die Community sind wir weiter als Ort da, den sie eigenständig bespielen können. Das wird ein ideeller Ort werden, also das ist… wir haben so ein quietschbuntes Sofa aus dem Schauspielhaus. Haben Sie das gesehen? 

SK: Ja.

MS: [lacht] Ja, das ist ne Leihgabe, das Wohnzimmer ist jetzt auch aufgelöst. Aber wir haben gesagt, von der Idee zum Ort. Nee, umgekehrt. Vom Ort zur Idee. Also die Idee bleibt erhalten, so als Haltung oder als Statement oder als Raum für Aktion.

Fazit

Durch das Interview mit Michael Stünkel über Bibliotheken als Dritte Orte konnte ich wertvolle Einblicke gewinnen und besser verstehen, wie Bibliotheken der Zukunft den sozialen Aspekt in den Mittelpunkt stellen, um Gemeinschaft zu fördern. Besonders faszinierend ist, dass Bibliotheken ein besonders niedrigschwelliges Angebot schaffen, um als Dritte Orte zu fungieren. Man muss kein konkretes Ziel haben, um eine Bibliothek zu besuchen: Vielleicht schaut man sich einfach die Neuzugänge an, liest die Zeitung oder bringt Bücher zurück – und entdeckt plötzlich eine Veranstaltung, die einen zum Bleiben einlädt. Diese Ungezwungenheit ermöglicht es, soziale Teilhabe ohne die Verpflichtung zu erleben, gezielt an einem Angebot teilnehmen zu müssen. Dabei wurde deutlich, dass dieser Ansatz zwar nicht alle Bedürfnisse gleichermaßen erfüllen kann, jedoch essenziell für die Weiterentwicklung moderner Bibliotheken ist. Es ist ein Thema, das sich kontinuierlich wandelt und weiterentwickelt – eine Dynamik, die besonders spannend und bedeutsam bleibt. Weißt du, was dein Dritter Ort ist? Mache das Quiz und finde es heraus!

Dein Dritter Ort

Quellen
¹ Archive/Stadtbibliothek-Hannover/Veranstaltungen/Workshop-s-in-der-MethoThek-der-Stadtbibliothek-Hannover/Was-ist-die-MethoThek
² https://www.wirtschaftsfoerderung-hannover.de/de/Microsites/aufHof/aufhof.php
³ https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-
https://artothek-hannover.de/

Bildnachweise

https://www.pexels.com/de-de/foto/gruppe-von-personen-1472334/
https://www.mattynewton.com/
https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Bildung/Bibliotheken-Archive/Stadtbibliothek-Hannover
https://www.pexels.com/de-de/foto/person-die-weisse-kreide-halt-625219/
https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Meldungsarchiv-f%C3%BCr-das-Jahr-2024/%E2%80%9Eaufhof%E2%80%9C-soll-verl%C3%A4ngert-werden
https://artothek-hannover.de/

Interaktive Videos auf der Leinwand

Autorinnen: Bonnie Huntemann und Nicole Hafner


Ein neues Filmerlebnis?

Die Filmindustrie und vor allem der Streaming-Anbieter Netflix haben in den letzten Jahren mit einem selbst produzierten Aufgebot an interaktiven Filmen eine Art Hype geschaffen.

Ob mit der ganzen Familie auf der Couch oder alleine in den öffentlichen Verkehrsmitteln: Zuschauer*innen empfinden eine starke Bindung zum Geschehen im Film. Mehr noch: durch die gefühlte Partizipation, die suggeriert wird und durch die Aufmerksamkeit, die vorausgesetzt wird um ein erfolgreiches interaktives Erlebnis zu erfahren, entsteht fast ein ähnlich starkes Gefühl von Teilhabe den Verlauf zu beeinflussen, wie bei modernen Videospielen.

Bild von StockSnap auf Pixabay

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein neues Filmerlebnis?
  2. Der Beginn eines Hypes?
  3. Beispiele für interaktive Filme
  4. Wie „interaktiv“ sind interaktive Filme wirklich?
  5. Quellen

Der Beginn eines Hypes?

Doch der Wunsch nach Interaktion mit dem Filmgeschehen ist keine neue Idee und hat seinen Ursprung schon gar nicht in der Streamingindustrie.

„Einen ersten Versuch mit interaktiven Filmelementen unternahm beispielsweise Winsor McCays Zeichentrick-Experiment Gertie the Dinosaur (USA 1914), für das der Regisseur sich bei jeder Vorführung vor der Leinwand positionierte und mit der gezeichneten Dinosaurierdame Gertie ‹interagierte›, die seine Befehle ‹befolgte› „

Auch wenn es sich hierbei zweifelsfrei nicht mal annähernd um tatsächliche Interaktion zwischen Publikum und Filmgeschehen handelt, wird deutlich, dass die Idee schon früh Wurzeln in der Filmindustrie geschlagen hat.

Aber was macht interaktive Filmelemente so interessant und in welchen Bereichen kann man Sie heute und in Zukunft nutzen?

„Videos zählen aktuell und vermutlich auch künftig zu den bedeutendsten digitalen Medien im Internet. Sie lassen sich für fast alle Anwendungsbereiche verwenden und können Sachverhalte und Zusammenhänge so anschaulich und authentisch darstellen, wie es mit keinem anderen Medientyp möglich ist.“

Die Filmindustrie entwickelt sich stetig weiter, immer auf der Suche nach einem neuen Trend, in den letzten 10 Jahren ging es beispielsweise von 3D über 4D zu interaktiven Filmen. Ziel ist es dabei dem Zuschauer immer mehr das Gefühl zu geben er wäre in das Geschehen involviert, ein Wandel von Betrachtung hin zur echten Interaktion.

Trailer von „Du gegen die Wildnis“ (2019)

Beispiele für interaktive Filme aus den letzten Jahren

Wie „interaktiv“ sind interaktive Filme wirklich?

Die Möglichkeit mitzuentscheiden, wie sich die Handlung im Film gestaltet erweckt im Betrachter zwar die glaubhafte Illusion von Interaktivität, dabei ist dies natürlich keine freie, selbst gefällte Entscheidung, wie wir sie aus dem realen Leben kennen.Denn Interaktivität im Film hat ihre Grenzen. Auch wenn vermeintliche Partizipation suggeriert wird, sind Entscheidungsmöglichkeiten, dadurch, dass sie schon bei der Produktion erdacht wurden, vorbestimmt und in einer Art Baum-Struktur deklariert. So ist es dem Zuschauer zwar nicht möglich irgendwie die Handlung zu beeinflussen, aber er kann in manchen Fällen doch zwischen zwei oder mehr vorgegebenen Möglichkeiten wählen.

Die Filmindustrie steht noch am Beginn der Entwicklung interaktiver Kinoerlebnisse, die zukünftigen Veröffentlichungen versprechen spannend zu werden, werden aber nie unser Bedürfnis nach echter Interaktivität decken können.

Quellen

Methoden zur Verbesserung der User Experience am Beispiel des Kano-Modells

Autorinnen: Jennifer Tews und Katharina Trommer


Die Kundschaft ist König – doch was erwartet sie eigentlich? Was erwarten Kund:innen von einem Produkt oder einer Dienstleistung und womit lassen sie sich begeistern? Für Unternehmen oder Dienstleister ist es wichtig, die Bedürfnisse seiner Kund:innen sowie deren Ansprüche und Wünsche zu kennen und im besten Fall zu erfüllen. Denn nur so können eine erhöhte Nachfrage und ein dementsprechendes Angebot gewährleistet werden. Eine Einführung in diese Thematik sowie das Kano-Modell als Methode, die Zufriedenheit der Kund:innen festzustellen, erhalten Sie in diesem Beitrag.

Inhalt

Wie Zufriedenheit in der Kundschaft entsteht

Ob Parkautomat oder Selbstbedienungskasse im Supermarkt – unser Alltag ist von interaktiven Produkten und Anwendungen geprägt. Dabei kommt es vor, dass wir mit einigen Systemen mühelos zurechtkommen und uns mit anderen schwertun. Dementsprechend hinterlassen Produkte oder Anwendungen einen positiven, geradezu großartigen Eindruck oder einen negativen und unbefriedigenden. Diese Erfahrung lässt sich in einem einfachen Begriff beschreiben: User Experience (kurz UX).[1]

Die User Experience beschreibt die Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person auf die Nutzung eines Systems, Produktes oder einer Dienstleistung.[2] Sie rückt das subjektive Empfinden sowie die Bedürfnisbefriedigung der Nutzenden ins Zentrum, wobei emotionale Faktoren handlungsleitend sind. Ein positiv in Erinnerung gebliebenes Nutzungserlebnis kann dafür sorgen, dass Kund:innen ein Produkt weiterempfehlen oder noch einmal kaufen. Insbesondere die Ästhetik und intuitive Anwendbarkeit wirken dabei überzeugend.[3]

„Wenn sie ein großartiges Erlebnis schaffen, werden sich die Kund:innen gegenseitig davon erzählen. Sie müssen immer fantastisch sein.“

Jeff Bezos, Amazon

Einfach gesagt entscheiden sich Kund:innen beim Kauf für das Angebot, welches ihren Anforderungen und Wünschen am meisten entspricht. Für Unternehmen ist es daher sinnvoll, die Aspekte der User Experience zu berücksichtigen, um die Nutzungszufriedenheit zu steigern und eine positive Wahrnehmung des Produktes zu bewirken. Dies erfordert mitunter, sich von etablierten Praktiken bei der Produktentwicklung zu lösen und neue Wege einzuschlagen, um Produkte und Anwendungen noch besser an die Bedürfnisse der Nutzer:innen anzupassen.

Damit landen wir wieder bei unserer Einstiegsfrage, was Kund:innen erwarten? Um herauszufinden, womit Produkte und Dienstleistungen positive Eindrücke hinterlassen, ist die Analyse der Zufriedenheit der Kundschaft notwendig.

Das Kano-Modell – Kund:innenzufriedenheit sichtbar machen

Noriaki Kano

Das Kano-Modell ist eine Methode, um die Zusammenhänge zwischen dem Erreichen bestimmter Produkt-oder Dienstleistungseigenschaften und der erwarteten Kund:innenenzufriedenheit darzustellen. Der Schöpfer dieses Modells, Noriaki Kano, bezieht sich bei seinem Modell auf die Theorie von Frederick Herzberg. Diese besagt, dass nicht notwendigerweise ein linearer Zusammenhang zwischen der Erfüllung eines Bedürfnisses und der daraus resultierenden Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit bestehen muss.[4]

Das Kano-Modell und seine Bestandteile

Innerhalb des Kano-Modells wird zwischen verschiedenen Anforderungskategorien, auch Merkmale oder Faktoren genannt, unterschieden. Es gibt Basis-, Leistungs- und Begeisterungsfaktoren. In einigen Darstellungen wird das Modell durch Questionable, Indifferente Merkmale und Reverse Merkmale ergänzt. Alle Kategorien unterscheiden sich in ihrem Einfluss auf die Kund:innenzufriedenheit und werden im Vorfeld häufig mittels Interviewverfahren bestimmt. Um im Anschluss die Produkt- oder Dienstleistungsanforderungen den einzelnen Kategorien zuordnen zu können, werden Kund:innenenreaktionen bewertet. Dabei wird ein Fragetechnik angewendet, welches auf der Beantwortung zweier Fragen beruht – der funktionalen und der dysfunktionalen Frage.[4]

Die funktionale Frage

Die funktionale Frage ist positiv formuliert und bezieht sich auf die Reaktion der Kund:innen, wenn ein Produkt die jeweils abgefragte Eigenschaft besitzt.

Zum Beispiel:
Was würden Sie sagen, wenn das Produkt bzw. die Dienstleistung über das Merkmal XY verfügen würde?

Die dysfunktionale Frage

Die dysfunktionale Frage ist negativ formuliert und bezieht sich auf die Reaktion der Kund:innen, wenn diese Eigenschaft nicht vorhanden ist.

Zum Beispiel:
Was würden Sie sagen, wenn das Produkt bzw. die Dienstleistung NICHT über das Merkmal XY verfügen würde?

 

Basisfaktoren umfassen Eigenschaften, die von der Kundschaft als Muss für das Produkt vorausgesetzt, aber nicht explizit gefordert werden. Aus diesem Grund werden sie als „Basic“ oder „Must-Be“ bezeichnet. Da diese Faktoren als selbstverständlich erachtet werden, wirkt sich ihr Vorhandensein nicht positiv auf die Kund:innenzufriedenheit aus. Umgekehrt führt ihr Fehlen zu starker Unzufriedenheit.

Ein Beispiel dafür wären die Räder eines Fahrzeugs.

Anders verhält es sich mit den Leistungsfaktoren. Die Zufriedenheit der Kundschaft wächst proportional zum Erfüllungsgrad dieser Anforderungen. Je mehr ein Leistungsattribut erfüllt ist, desto positiver wirkt es sich auf die Kund:innenzufriedenheit aus und umgekehrt. Leistungsfaktoren fungieren häufig als Vergleichskriterium unterschiedlicher Produkte, Angebote oder Dienstleistungen und werden explizit von Kund:innen erwartet.

Ein Beispiel wäre ein Automotor mit besonders starker Leistung.

Begeisterungsfaktoren haben den größten Einfluss auf die Zufriedenheit der Kundschaft. Sie übersteigen deren Anforderungen, sorgen für Begeisterung und werden, ebenso wie die Basisfaktoren, nicht explizit von der Kundschaft verlangt. Im Gegensatz zu den Basisfaktoren werden sie aber nicht vorausgesetzt und lösen deswegen keine Unzufriedenheit aus, wenn sie nicht vorhanden sind. Durch Begeisterungsfaktoren können sich Produkte und Dienstleistungen deutlich von der Konkurrenz abheben. Bereits kleine Leistungssteigerungen können zu einer überproportionalen Steigerung der Kund:innenzufriedenheit führen. Allerdings sind Begeisterungsfaktoren nur schwer zu ermitteln.

Ein Begeisterungsfaktor im Auto könnte eine Sitzheizung sein.

Weitere Bestandteile

Als ergänzende Faktoren können auch Questionable, sowie Indifferente und Reverse Merkmale betrachtet werden.

Questionable weisen auf unlogische Antworten hin und treten auf, wenn sowohl die funktionale Frage als auch die dysfunktionale Frage positiv beziehungsweise negativ beantwortet werden.

Ein Beispiel ist die positive Einschätzung eines sowohl hohen als auch geringen Kraftstoffverbrauchs eines Autos.

Indifferente Merkmale spielen für das Kano-Modell lediglich eine untergeordnete Rolle, da das Vorhandensein oder Fehlen dieser Attribute weder positive noch negative Auswirkungen auf die Nutzungszufriedenheit hat.

Es macht beispielsweise keinen Unterschied, ob das Gaspedal eines Fahrzeugs blau oder schwarz ist. 

Bei Reversen Merkmalen sorgt ein hoher Erfüllungsgrad für Unzufriedenheit bei der Kundschaft. Ein nicht Erfüllen der Attribute führt häufig, aber nicht zwangsläufig zu einer Steigerung der Kund:innenzufriedenheit.

Autos mit besonders viel Hightech und Elektronik können auch Unzufriedenheit auslösen, da beispielsweise die Bedienung als zu kompliziert empfunden wird.[5], [6]

 

Das Kano-Modell einfach erklärt

Bessere User Experience dank Kano-Modell

Wer weiß, was die Kund:innen begeistert, kann Features bewusst einsetzen, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen oder die Qualität des Produktes zu verbessern. Zudem lassen sich durch die Steigerung der User Experience unternehmerische Ziele als auch die Interessen der Kundschaft kombinieren. Das Kano-Modell ist eine geeignete Methode, um neue Konzepte, Ideen und Features zu testen und zu bewerten. Zusätzlich vermittelt es ein umfassendes Verständnis für die verschiedenen Anforderungen der Kundschaft, indem es das Verhältnis zwischen Produktanforderung und Kund:innenzufriedenheit abbildet. Kurz gesagt: durch das Kano-Modell lernen Sie die Wünsche und Ansprüche Ihrer Kund:innen kennen, welche sie gewinnbringend für die Verbesserung der User Experience Ihrer Produkte und Dienstleistungen einsetzen können.[7], [8]

Überzeugt?

Sie wollen gleich loslegen und die Zufriedenheit Ihrer Kundschaft mittels Kano-Modell herausfinden? Wir haben Ihnen eine kleine Übersicht mit weiterführenden Informationen zusammengestellt.

Aufgepasst? Testen Sie sich selbst!

Quellen

Literatur

  1. Burmeister, Michael: User Experience = Usability plus X? Online unter https://www.uid.com/de/aktuelles/user-experience-usability [Abruf am 15.11.2022]
  2. DIN EN ISO 9241-210, Ergonomie der Mensch-System-Interaktion. Teil 210, Menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme (ISO 9241-210:2019)
  3. Richter, Michael; Flückiger, Markus (2016): Usability und UX kompakt. Produkte für Menschen. 4. Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer Vieweg (IT kompakt)
  4. Graser, Laura; Nirschl, Marco (2020): Steigerung der Kundenzufriedenheit durch Gestaltung von Artikeldetailseiten am Beispiel von WITT WEIDEN. Amberg-Weiden: Ostbayerische Technische Hochschule (OTH) (Weidener Diskussionspapiere, Nr. 75 (Juni 2020))
  5. t2informatik GmbH (2022): Kano-Modell. Online unter https://t2informatik.de/wissen-kompakt/kano-modell/ [Abruf am 09.12.2022]
  6. Legend (2021): Kano-Modell ganz einfach erklärt. Video publiziert am 14.08.2021 auf YouTube. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=j4aJK5ThyNI [Abruf am 20.12.2022]
  7. Pfeifer, Anne (2018): Vorteile und Nachteile der Kano-Methode. Zuletzt aktualisiert am 02.05.2018. Online unter https://usertimes.io/2018/05/02/kano-vor-und-nachteile/ [Abruf am 09.12.2022]
  8. Rehmann, Nico (2021): Was ist User Experience? Zuletzt aktualisiert am 05.08.2021. Online unter https://www.cio.de/a/was-ist-user-experience,3661318 [Abruf am 15.11.2022]

Abbildungen

Design Thinking: Volle Kreativität voraus

Beitragsbild Design Thinking

Oder: It’s not about the design, it’s about the thinking!

Autorin: Katharina Kroupa 


„Man kann über Design Thinking noch so viel Positives erzählen, die Arbeitsweise und ihre Wirkung erklären: Um sie wirklich zu verstehen, muss man sie selber hautnah miterlebt haben.“

 Marcel Plaum, VP Terminal Development Fraport

Na, macht dich das neugierig zu erfahren, was Design Thinking ist? Du hast den Begriff nun schon öfter gehört, aber noch keine Idee, was dahinter alles steckt?

Dann bist du hier genau richtig! Ich bringe dir in diesem Beitrag die Innovationsmethode Design Thinking näher. Was dich alles erwartet im Überblick:

 

Grundsätze des Design Thinkings

Stell dir vor, du arbeitest – sagen wir mal – in einer großen Bibliothek. Ihr stellt Nutzer:innen Medien zur Verfügung, bietet diverse Dienstleistungen an und außerdem kann man bei euch auch vor Ort arbeiten. Eure Bibliothek wird als Lernort grundsätzlich gern genutzt, aber ihr merkt, dass es Verbesserungspotenzial gibt. Euer Gebäude ist schon älter, ebenso die Einrichtung und ihr möchtet den Lernraum für eure Nutzer:innen attraktiver gestalten. Und so bildet sich ein Team aus Mitarbeiter:innen, die sich beratschlagen, was einen modernen Lernraum ausmacht. Eine Kollegin schlägt vor, weitere Computer zur Nutzung anzuschaffen, ein anderer ist der Meinung, dass voll ausgestattete Gruppenarbeitsräume her müssen. Und so suchen Bibliotheksmitarbeiter:innen untereinander nach geeigneten Lösungen.

Doch wofür eigentlich? – Na für ein neues Raumkonzept! – Okay…

Aber für wen eigentlich? – Na für die ganzen Benutzer:innen der Bibliothek!

– Ahaaa..! Aber wäre es da nicht sinnvoll, diese Personen erstmal nach ihrer Meinung zu fragen und sie miteinzubeziehen, wenn man doch für genau diese eine Lösung sucht?

Und damit sind wir beim ersten Grundsatz der Design Thinking Methode, der in jeder Phase des Innovationsprozesses zentral ist: Der Mensch als Inspirationsquelle.

Der Gedanke des Design Thinking ist, dass ein Produkt oder eine Dienstleistung dann richtig gut werden kann, wenn die Bedürfnisse der Zielgruppe richtig ermittelt und bedient werden. Dazu wird diese Zielgruppe aktiv in den Innovationsprozess miteingezogen.[1] Wie das geschieht, erfährst du in weiter unten im Beitrag.

Ein weiterer Grundsatz der Methode ist das Bilden und Zusammenarbeiten innerhalb multidisziplärer Teams. Die Idee hierhinter ist, dass Menschen verschiedener Disziplinen bzw. Fachrichtungen, ihre unterschiedlichen Erfahrungen in den Ideenprozess einbringen und so gemeinsam eine (bessere) Lösung für das Problem finden können. Diversität in Geschlecht, Alter, Fachrichtung ist hier zielführend. Meist bestehen diese Teams aus 4-6 Teilnehmer:innen, den sogenannten Design Thinkers. Noch unerfahrene Teams werden dazu von ein bis zwei Moderator:innen beim Prozess unterstützt.[2]

Die einzelnen Mitglieder multidisziplinärer Teams entwickeln gemeinsam Ideen.
Quelle: giphy

Da bei diesem Zusammenspiel unterschiedlicher Personen schnell das Ziel – nämlich das Finden einer zielgruppenorientierten Lösung – aus den Augen verloren werden kann, ist es wichtig, dabei einem strukturierten Prozess zu folgen.[3] Das bringt uns zum nächsten Inhaltspunkt dieses Beitrags.

Wie läuft der Prozess der Methode ab?

Der Prozess des Design Thinking besteht aus aufeinander folgenden Phasen. Die Phasen bauen aufeinander auf. Erst, wenn eine Phase abgeschlossen ist, kann mit den dabei entstandenen Ergebnissen in der nächsten Phase weitergearbeitet werden.

In allen Phasen ist die Zielgruppe im Fokus. Innerhalb der ersten drei Phasen (Verstehen, Beobachten, Point of View) empathisiert das Team mit der Zielgruppe. Es versucht das zentrale Problem zu verstehen und zu definieren. In den darauffolgenden Phasen (Ideation, Prototyping, Testen) werden Ideen zur Problemlösung gesammelt und konkretisiert. Prototypen werden erstellt und aus Nutzersicht oder von tatsächlichen Nutzer:innen getestet.

Klicke auf die Info-Buttons der verschiedenen Phasen, um Einzelheiten zu erfahren:

Im besten Fall wird dieser Prozess einmal vom Anfang bis zur Entscheidung durchlaufen. Fallen den Testnutzer:innen in der Testphase allerdings Schwachstellen auf oder sie sind in sonst einer Weise nicht zufrieden mit der Lösung, müssen vorherige Phasen wiederholt werden. Beispielsweise werden in der Ideation-Phase dann noch einmal diverse Ideen gesammelt. Daraus werden dann wieder vereinzelte Lösungsansätze ausgewählt, sodass aus diesen nachfolgend ein Protoyp entwickelt wird. Oder die testende Zielgruppe fühlt sich insgesamt noch nicht ausreichend verstanden. Dann beginnt der Prozess erneut beim Verstehen.[4]

Das wird so lange wiederholt bis sich das Team Schritt für Schritt der idealen Lösung angenähert hat. Diesen Vorgang nennt man Iteration. Demnach wird der Prozess des Design Thinking auch als iterativer Prozess bezeichnet.[5]

Welche Voraussetzungen und Tools unterstützen den Innovationsprozess?

Aus dem vorherigen Abschnitt kennst du nun die einzelnen Phasen des Design Thinking Prozesses. Aber wie oder wodurch kann dieser Prozess unterstützt werden? Und wie fördert man die Kreativität am besten?

Die folgenden Abschnitte geben Einblick über die Voraussetzungen für einen gelungenen Innovationsprozess sowie Beispiele für nutzbare Tools zur Kreativitätsförderung[6]:

Wieso sich Design Thinking in jedem Lebensbereich lohnt

Die Methode findet Anwendung in verschiedenen Bereichen und zu verschiedenen Themen. Beispielhaft werden nachfolgend ihr Nutzen und ihre Anwendbarkeit in einer Tabelle dargstellt:

Nutzen Anwendbarkeit
nachhaltige Teamentwicklung Aufbau von Kundenverständnis
effizientere Innovationsprozesse durch schnelles Feedback Gestaltung neuer Produkte und Dienstleistungen
Kundenloyalität steigern durch Integration Optimierung von Organisationsprozessen
geringe Kosten Erstellen von Marketingkampagnen
Tabelle: Nutzen und Anwendbarkeit von Design Thinking

Als Innovationsmethode definiert sich Design Thinking unter anderem über seine Anwender:innen. Da diese und ihre Probleme sehr unterschiedlich sein können, eignet sie sich für das Finden von Lösung in jedem Lebens(Problem-)bereich.

Wie Bosch Design Thinking für User Experience nutzt

Auch bekannte Firmen nutzen mittlerweile die Design Thinking Technik zur Lösung verschiedenster Probleme oder zur Entwicklung neuer Produkte.

Eine davon ist Bosch. Das Unternehmen nutzt die Technik für eine enge Zusammenarbeit mit ihrer Zielgruppe. Im nachfolgenden Video geben Bosch-Mitarbeiter Einblick darin, wie die Methode in der Firma umgesetzt wird.

Youtube-Video: Design-Thinking bei Bosch – Zwischen Post-Its, Lego und Fritz-Kola[7]

FazitIts’s not about the design

it’s about the thinking!

Die Angst vor Fehlern bringt Menschen dazu, die Risiken im Fokus zu haben – nicht die Möglichkeiten!

Aber aus Fehlern lernt man. Design Thinking gibt den Raum für diese offene Denkweise in einem geführten Prozess. Jeder Prozess-Teil führt zu klaren Ergebnissen, mit denen der nächste Prozess-Schritt beginnt.

Obwohl jede Design Thinking Aktivität darauf ausgerichtet ist, die Erfahrungen der Mitmenschen zu verstehen, verändert sie auch die Erfahrungen und Denkweisen der Innovatoren.


Quellen:

DGO (2017): Der Design Thinking Prozess. In 6 Schritten zum Produkt. Online unter: https://blog.dgq.de/der-design-thinking-prozess-in-6-schritten-zum-produkt/ [Abruf am 31.01.2021]

FAZ (2018): Design-Thinking bei Bosch: Zwischen Post-Its, Lego und Fritz-Kola. Youtube. Online unter: https://www.youtube.com/watch?v=F184mC8K2HI&feature=youtu.be

Kreutzer, Ralf T. (2018): Toolbox für Marketing und Management. Kreativkonzepte, Analysewerkzeuge, Prognoseinstrumente. Berlin: Springer. DOI: doi.org/10.1007/978-3-658-21881-2

Plattner, H.; Meinel, C. u. Weinberg, U. (2009): Design Thinking. Innovation lernen, Ideenwelten öffnen. München: mi.

Schallmo, Daniel (2017): Design Thinking erfolgreich anwenden. So entwickeln Sie in 7 Phasen kundenorientierte Produkte und Dienstleistungen. Wiesbaden: Springer Gabler. DOI: doi.org/10.1007/978-3-658-12523-3


Dieser Beitrag ist im Studiengang Informationsmanagement an der Hochschule Hannover im Rahmen des Kurses Content Management (Wintersemester 2020/21, Prof. Dr.-Ing. Steinberg) entstanden. Die besten Beiträge stellen wir Euch hier in den nächsten Wochen nach und nach vor.

Didaktische Typographie: Weißraum und seine Wirkung

Beitragsbild Weißraum und seine Wirkung

Autor*in: Leonie Thissen


Ein Beitrag zur didaktischen Typographie

Jede*r, der*die lesen kann, kennt den typographischen Weißraum. Und jede*r hat auch schon mal die Wirkung von zu viel oder zu wenig davon auf einer Seite oder in einem Text an sich erlebt. Was einem dabei wohl eher nicht bewusst wurde: dass diese Wirkung mit dem Weißraum zusammenhing.

Der Riese im Hintergrund

Typographischer Weißraum ist alles das, wo keine Schrift steht.1 Er muss nicht unbedingt weiß sein. Mit Weißraum sind aber nicht nur Seitenränder gemeint. Weißraum ist z.B. auch das, was in den Buchstaben weiß ist. Oder der weiße Raum im Zeilenabstand.

Warum Weißraum wichtig ist

Der Weißraum hat großen Einfluss auf die Lesbarkeit eines Textes. Zunächst einmal über seinen Anteil in der Schrift. Eine Schrift wirkt zusammen mit ihrem Weißraum. Das leuchtet sofort ein. Fehlt der Weißraum in dem Buchstaben wirken können, ist die beste Schrift (es ist dann keine gute Schrift) unlesbar. Aber auch eine ausgewogene Schrift (eine in der das Verhältnis Buchstabe zu Weißraum stimmt) kann nicht wirken, wenn der Zeilenabstand (noch mehr Weißraum) zu eng gewählt oder die Seite (ob im Web oder gedruckt) überladen ist. Das Gegenteil – zu große Zeilenabstände, eine kahle Seite – ist genauso schlecht für die Wirkung einer Schrift.2

Leselust durch Layout

Schrift ist doch egal, es geht doch um den Inhalt werden Sie jetzt vielleicht denken. Es ist ganz und gar nicht egal. Zunächst einmal senkt ein schlechtes Layout massiv die Lust darauf, einen Text zu lesen oder eine Webseite näher zu betrachten. Auch das hat jeder schon einmal an sich selbst beobachten können. Der unbeschriebene (weiße) Raum dient als Ruhepol für das Auge.3 Aus aneinandergereihter Schrift wird Text, den wir zunächst als Ganzes erfassen. Am visuellen Eindruck des Textes hat der Weißraum einen großen Anteil. Der Ersteindruck eines Textes sorgt dafür, ob wir Lust bekommen ihn zu lesen, neugierig werden oder es eher als eine Qual empfinden. Denken Sie an den höchst unterschiedlichen Eindruck einer Seite in einem Roman oder dem Beipackzettel einer Arznei.4 Das ist in Ordnung. Unterschiedliche Texte, die Unterschiedliches wollen, brauchen auch unterschiedlichen Weißraum für eine unterschiedliche Art der Aufmerksamkeit bei der*dem Lesenden.

Auf einer Seite

Weißraum macht also eine Schrift erst lesbar. Genügend Weißraum auf einer Seite macht einen guten Texteindruck und Lust ihn zu lesen. Typographie nach didaktischen Gesichtspunkten erhöht zu dem auch noch das Verständnis eines Textes.5 In der didaktischen Typographie wird viel Wert auf Absätze und Zwischenüberschriften gelegt.6 Das erhöht den Weißraumanteil logischerweise weiter. Interessanterweise wirkt derselbe Text mit Absätzen und Zwischenüberschriften so, als wäre weniger Text zu lesen. Tatsächlich kamen aber Buchstaben hinzu (durch die Überschriften).7

Im Bild ist der bisher im Artikel vorgestellte Text zweimal dargestellt. Links als ein großer Textblock mit ingesamt 3 Zeilenumbrüchen, sonst keinerlei Zwischenabsatz. Rechts ist der Text mit allen Umbrüchen, Absätzen und Zwischenüberschriften dargestellt, wie sie auch bisher im Artikel vorkamen.

Das Beispiel zeigt den Unterschied an Weißraum innerhalb eines Textes. Zur guten Gestaltung einer Seite gehört natürlich auch ausreichend leerer Raum um den Text herum, an den Seitenrändern, zwischen den Elementen und was sonst noch so auf einer Seite passieren kann.8

Typographie in der Didaktik

Sie sehen, Leselust und Leseverständnis werden natürlich auch durch den Inhalt, aber erstmal durch die äußere Form bestimmt. Mediengestaltung und Werbung wissen das schon lange.9

Nach langer Ruhezeit wird sich wieder wissenschaftlich mit didaktischer Typographie beschäftigt.10 Wer einen Einstieg in die Lehrtextgestaltung unter didaktisch-typographischen Gesichtspunkten sucht, findet diesen in leicht verständlicher und nachvollziehbarer Form bei Rosalie Heinen:

Rosalie Heinen im Interview mit Lisa Kosmalla zu didaktischer Typographie

Weißraum im Web

Beschäftigt man sich mit Weißraum in Onlinetexten (Blogs, Online-Zeitschriften, Webseiten, etc.) wird die Sache unendlich komplizierter. Denn ist eine Buchseite einmal typographisch gestaltet, ist sie „fertig“ und bleibt in diesem Zustand.

Das Layout einer Webseite muss aber auch noch in vergrößert und verkleinert gut wirken.11 Die Leselust soll gleichermaßen geweckt werden, ob nun auf einem PC-Bildschirm, am Tablet oder auf dem Smartphone gelesen wird. Die Grundbedürfnisse an gute typographische Gestaltung und den richtigen Einsatz von Weißraum bleiben aber dieselben wie bei einer gedruckten Seite.12

Man sollte sich daher erstmal mit den Regeln von guter Typographie für Druckwerke beschäftigen und diese Erkenntnisse dann auf Online-Texte anwenden.13

Ein paar gelungenere Beispiele für den Einsatz von Weißraum im Web:

 

und ein paar nicht so gute:

Ist das wichtig?

Sie werden sich jetzt vielleicht fragen, warum das alles wichtig sein sollte. Wir lesen doch ständig alles Mögliche und haben uns dabei noch nie Gedanken über das „Nichts“ um die Buchstaben Gedanken gemacht. Das liegt daran, dass

„Gestaltung […] unsichtbar bleiben [muss]. Die Kunst besteht darin, die Information so anzubieten, dass die Leser gar nicht erst darüber nachdenken, dass jemand jede Zeile, jeden Absatz und jede Spalte sorgfältig zu Seiten aufbereitet hat.“14

Erik Spiekermann weiß, wovon er spricht. Er hat dutzende Schriften (und damit auch den Weißraum in den Buchstaben und Wörtern) im öffentlichen Raum entworfen, z.B. die Schrift der Deutschen Bahn, eine eigene Schrift für Bosch oder Schrift auf Verkehrsschildern.15 Sein Schaffen als Designer steht unter dem Motto, dass Schrift immer der zu transportierenden Information dienen muss:

Man liest ja keine Schrift. Man liest ja’n Text.“ 16

oder drastischer

„Das kann man nicht lesen, also ist es scheiße.“17

Überträgt man seine Forderungen auf die Bemühungen der didaktischen Typographie, könnte man sagen:

Wenn etwas so gelayoutet ist, dass es nicht gut verstanden wird, ist es nicht gut.

Was am Weißraum wichtig ist

Wir müssen aber glücklicherweise nicht warten, bis die ersten Handreichungen zur didaktischen Typographiegestaltung von Lehrtexten einsetzbar sind. Ein breites Feld von Mediengestalter*innen, Typograph*innen, Grafiker*innen, Marketingfachleuten und anderen beschäftigt sich ausgiebig auch mit dem Weißraum. Was die Mediengestaltung bereits weiß, kann man auch in der Didaktik anwenden.

Helene Clara Gamper fasst im folgenden Video kurz und knackig das Wichtigste zum Thema zusammen:

HCG zu Weißraum in der Mediengestaltung

Zitate

1 Wikipedia 2020; HCG 2017 Min. 0:19-0:24; Kosmalla Min. 15:14-15:20

2 Spiekermann 2004, S. 113

3 Kosmalla 2020, Min. 14:42-15:13

4 Kosmalla 2020, Min. 4:47-6:20

5 Kosmalla 2020, Min. 18:13-19:02, Min. 20:02-20:26

6 Kosmalla 2020, Min. 10:00-10:51

7 Kosmalla 2020, Min. 10:51, Min. 19:48-19:55

8 Spiekermann 2004, S. 77-95 verbatim

9 HCG 2017, Min. 1:40-1:45; Spiekermann 2004, S. 103

10 Kosmalla 2020, Min. 9:01-9:19

11 Spiekermann 2004, S. 119-121

12 Spiekermann 2004, S. 93

13 Spiekermann 2004, S. 39, S. 81

14 Spiekermann 2004, S. 15

15 DW Deutsch 2012, Min. 3:31-4:45; Typografie.info 2013

16 DW Deutsch 2012, Min. 1:25-1:27

17 Rat für Formgebung 2020, Min. 4:04-4:06

Quellen

DW Deutsch (2012): Der deutsche Grafiker Erik Spiekermann und seine Schriftkunst. Zuletzt aktualisiert am 29.02.2012. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=q8BIBx5f8lE [Abruf am 30.01.2021]

HCG corporate designs (2017): Weißraum in der Mediengestaltung. Zuletzt aktualisiert am 20.03.2017. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=K9cHnoyND0I [Abruf am 31.01.2021]

Kosmalla, Lisa (2020): Expertinnen Interview „Didaktische Typografie“ mit Rosalie Heinen. Zuletzt aktualisiert am 28.07.2020. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=bgv145gB7Jk [Abruf am 31.01.2021]

Rat für Formgebung (2020): Erik Spiekermann: „Wenn man es nicht lesen kann, ist es scheiße.“. ndion Podcast. Zuletzt aktualisiert am 07.01.2020. Online unter https://www.youtube.com/watch?v=xmpr2Vj8rtw [Abruf am 30.01.2021]

Spiekermann, Erik (2004): ÜberSchrift. Mainz: Verlag Hermann Schmidt

Typografie.info (2013): Hausschrift: Bosch. Zuletzt aktualisiert am 19.01.2013. Online unter https://www.typografie.info/3/hausschriften.html/bosch-r41/ [Abruf am 31.01.2021]

Wikipedia (2020): Typografischer Weißraum. Zuletzt aktualisiert am 22.10.2020. Online unter https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Typografischer_Weißraum&oldid=204770024 [Abruf am 31.01.2021]


Dieser Beitrag ist im Studiengang Informationsmanagement an der Hochschule Hannover im Rahmen des Kurses Content Management (Wintersemester 2020/21, Prof. Dr.-Ing. Steinberg) entstanden. Die besten Beiträge stellen wir Euch hier in den nächsten Wochen nach und nach vor.