Autorin: Hjördis Helberg
Warum sollten sich Bibliotheken jetzt mit dem Thema Lernraum beschäftigen?
Die Nachfrage nach physisch vorhandenen Medien sinkt. Dies lässt sich anhand von Ausleihzahlen feststellen. Gerade in naturwissenschaftlichen und technischen Fachrichtungen werden zunehmend elektronische Ressourcen genutzt. Diese Entwicklung hat zur Folge, dass der Bestand in den Lesesälen dezimiert bzw. magaziniert wird und Freiflächen entstehen.
Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Lern- und Arbeitsraum, da Studium und Arbeitswelt zunehmend virtuell und somit zeitlich und räumlich flexibler werden.[1] Auch wenn es angesichts dieser Ortsunabhängigkeit zunächst paradox erscheint, gewinnen öffentliche Lernräume am Campus im Gegensatz zum heimischen Schreibtisch an Bedeutung. Studierende suchen Lernorte gern gemeinsam als Gruppe auf. [2]
Bibliotheken können auf diesen Trend reagieren, indem sie Lernumgebungen und Serviceleistungen zur Verfügung stellen, die moderne Arbeitsweisen ermöglichen. Dabei müssen grundlegende Bedingungen für eine gute Lernumgebung beachtet werden. Darüber hinaus sollten Bibliotheken neue Ideen und Konzepte wagen. Sie dürfen attraktiv sein, überraschen und im Gedächtnis bleiben!
Dieser Beitrag stellt, neben grundlegenden gestalterischen Aspekten für Lernräume, zwei für Bibliotheken vielversprechende Ideen zum Thema modernes Lernen vor.
Inhalt
Was macht attraktiven Lernraum aus?
Ansprechenden Lernraum zeichnet vor allem eines aus: die Bedürfnisse der Nutzer*innen stehen im Mittelpunkt!
Weil die Bereitstellung geeigneter Möbel, Beleuchtung, Hard- und Software sowie WLAN dabei genauso wichtig ist, wie eine angenehme Atmosphäre, entwickeln sich moderne Bibliotheken zu einer Art Mischform aus öffentlichem Arbeitsraum und Wohnzimmer.[3] Neben dieser essentiellen Ausstattung benötigt es eine lernfördernde Umgebung. So kann ein Angebot unterschiedlicher Lernräume und -szenarien verschiedene Bedürfnisse bedienen. Neben Einzelarbeitsplätzen und Gruppenräumen verschiedener Größe und Ausstattung, ist funktionales und anpassungsfähiges Mobiliar essentiell. Es sollte dauerhaft haltbar sein und es ermöglichen, die Lernumgebung leicht an den eigenen Bedarf anzupassen. So können rollbare Wände, Tische und Whiteboards einen Gruppenraum im Raum schaffen, wenn er benötigt wird.
Darüber hinaus sollte der Lernort Bibliothek leicht zugänglich sein und eine einfache, eigenständige Orientierung im Raum ermöglichen. Zudem darf der „Wohlfühlfaktor“ nicht außer Acht gelassen werden. Eine inspirierende und motivierende Gestaltung der Räume fördert die Aufenthaltsqualität und regt gleichermaßen zum Lernen und zur Kommunikation an.[4] Für beide Zwecke können eigens gestaltete Zonen eingerichtet werden.
Bibliotheken sollten modern und attraktiv gestaltet sein, um ihren Nutzer*innen positiv in Erinnerung zu bleiben. So werden sie zu einem Ort, den sie gern aufsuchen.
Lernerfolge durch Bewegung fördern
Zur Gestaltung erholsamer Lernpausen bieten viele moderne Bibliotheken bereits Zonen mit gemütlichen Sitzgruppen an, die zum Entspannen und zur Kommunikation einladen sollen. Pausen sind dabei besonders wichtig für die Konzentration und den Lernerfolg.[5] Diese Art der Pausengestaltung wird gern angenommen, sollte aber möglichst durch weitere Angebote ergänzt werden. Denn je angenehmer die Unterbrechung des Lernprozesses gestaltet ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er nicht wieder aufgenommen wird. Vielmehr zeigt sich, dass Pausen umso effektiver sind, je mehr sie sich in ihrer Tätigkeit vom Lernen unterscheiden.[6] Zudem ist bekannt, dass die durchschnittliche Dauer sitzender Tätigkeiten insbesondere bei Studierenden besonders hoch ist.[7]
In Bewegung kommen
Bibliotheken können die Konzentration und somit die Effizienz ihrer Nutzer*innen unterstützen, indem sie ihnen Angebote zur aktiven Pausengestaltung bieten. Stromerzeugende Tischräder können einen Beitrag zur Gesundheitsförderung der Studierenden leisten und haben zudem einen Nachhaltigkeitsaspekt. Die Möglichkeit, eine Lernpause nicht nur in Bewegung zu verbringen, sondern gleichzeitig das eigene Endgerät durch Muskelkraft mit Strom zu versorgen, macht den Bibliotheksbesuch zu einem Erlebnis. Diese Innovation kann ein positives Image der Bibliothek unterstützen.
Die Philologische Bibliothek der Freien Universität Berlin hat für Ihre Nutzer*innen ein Schreibtischfahrrad installiert, das für eine aktive Pause genutzt werden kann. Darüber hinaus erlaubt es das Arbeiten am Schreibtisch bei gleichzeitiger Bewegung: [8]
Praktischer Wissenserwerb
Wollen Bibliotheken sich auch in Zukunft als physische Orte legitimieren, benötigen sie neue Serviceleistungen rund um Wissensaneignung und -vermittlung, die nicht ausschließlich bestandsbezogen sind. Eine für wissenschaftliche Bibliotheken vielversprechende, jedoch in Deutschland bisher selten realisierte Idee, ist das Einrichten von Makerspaces. Dabei handelt es sich um Orte für praktischen und innovativen Wissenserwerb. Zunächst sind sie offene Werkstätten, die neben geeigneten Räumlichkeiten auch Geräte wie 3D-Drucker, CNC-Fräsen, Plotter oder Kleingeräte zur Produktion von Modellen und Gegenständen bieten. Insbesondere sind sie aber Orte der persönlichen Begegnung von Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen und Interessen. Computerspezialist*innen, Designer*innen und Bastler*innen profitieren vom gemeinsamen Wissens- und Erfahrungsaustausch. Wichtig ist, dass Bibliotheken darauf achten, diese Community in die Unternehmung Makerspace aktiv einzubinden und entsprechende Veranstaltungen und Serviceleistungen anzubieten, um einen beliebten Ort produktiver Kreativität zu schaffen.
Die Vorteile
Vielerorts gibt es bereits kommerzielle Makerspace-Angebote. Was sind also die Vorteile für Bibliotheksnutzerinnen? Und was hat letztlich die Bibliothek davon? Makerspaces sind als Angebot einer wissenschaftlichen Bibliothek besonders niedrigschwellig. Der Zugang ist kostenfrei oder kostengünstig. Zudem sind Universitätsbibliotheken eine für die meisten Studierenden bereits bekannte Institution. Im Gegensatz zu den innerhalb der Universität vorhandenen Werkstätten, ist sie fakultätsübergreifend. Sie richtet sich also an Studierende verschiedener Studiengänge und kann der Ort sein, an dem Netzwerke geknüpft und gemeinsame Ideen realisiert werden. Studierende, die die Bibliothek bislang nicht nutzten, können durch das Angebot eines Macerspace wohlmöglich als Nutzerinnen gewonnen werden.
Herausforderungen
Natürlich gibt es auch ein paar Herausforderungen zu beachten: Werkstätten gehen mit einem gewissen Geräuschpegel und einem regen Publikumsverkehr einher. Es muss also ein geeigneter Ort gefunden werden, damit der reguläre Bibliotheksbetrieb nicht beeinträchtigt wird. Zudem wird engagiertes Personal benötigt, das bereit ist, sich eigens in den Betrieb des Makerspace einführen zu lassen und selbst Arbeitsschutzunterweisungen und Geräteeinführungen für Nutzer*innen anzubieten. In den Stellenplänen von Bibliotheken ist diese zusätzliche Arbeit bislang nicht berücksichtigt. [9]
“Wissen kommt von Machen!” – Der Makerspace der SLUB Dresden
Die SLUB Dresden (Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek) hat sich diesen Herausforderungen gestellt. Ihr Makerspace hat sich mit Hilfe engagierter Mitarbeiter*innen, einem breiten Netzwerk und interessierten Nutzer*innen aus einem zunächst befristeten Projekt zu einer festen Bereicherung des Bibliotheksbetriebs entwickelt[10]:
Fazit
Bibliotheken waren, sind und bleiben Orte des Wissens. Sie verlieren nicht an Bedeutung, müssen ihr Angebot allerdings kreativ und engagiert erweitern, um attraktiv zu bleiben.
Denn die Art, wie wir Wissen aufnehmen und weitergeben, verändert sich mit fortschreitender Digitalisierung. Diese Entwicklung können Bibliotheken nutzen und sich als innovative Orte positionieren, die Nutzer*innen einbeziehen und moderne Arbeitsweisen ermöglichen. Dafür sind sie besonders geeignet, denn sie sind öffentliche, niedrigschwellige Räume, an denen fachübergreifende Netzwerke entstehen können.
Es gibt verschiedene Herangehensweisen zur Gestaltung moderner Lernräume. Dieser Herausforderung begegnen Bibliotheken am besten, indem sie ihre Nutzer*innen und deren Bedürfnisse in den Fokus stellen. Sie bevorzugen einen inspirierenden, motivierenden Lernraum mit hoher Aufenthaltsqualität, an dem sie konzentriert arbeiten und ihr Wissen mit anderen teilen können.
Quellen
[1] Glitsch, Silke u.a. (2017): Arbeitsplatz- und Lernortentwicklung an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. In: Umlauf, Konrad u.a. (Hg.): Strategien für die Bibliothek als Ort. Festschrift für Petra Hauke. Berlin/Boston: De Gruyter Saur, S. 95-110
[2] Semar, Wolfgang (2014): Digitale Veränderungsprozesse: Konsequenzen für das Lern- und Kommunikationsverhalten. In: Eigenbrodt, Olaf (Hg.): Formierungen von Wissensräumen. Optionen des Zugangs zu Information und Bildung. Berlin/Boston : De Gruyter Saur (Age of Access? Grundfragen der Informationsgesellschaft, Bd. 3), S. 11-20
[3], [5] und [8]Wagner, Janet (2020): Bewegung fördert Lernen. Neue Angebote am Lernort Bibliothek dargestellt am Beispiel der Philologischen Bibliothek der Freien Universität Berlin. Bachelorarbeit. Fachhochschule Potsdam, Fachbereich Informationswissenschaften, Studiengang Bibliotheksmanagement. Potsdam
[4] Stankovic, Marina u.a. (2016): Bibliothek als architektonische Aufgabe. Von der Entwicklung der Gebäudetypologie und der Verschiebung der Schwerpunkte in der Bibliotheksarchitektur. In: Hauke, Petra (Hg.): Praxishandbuch Bibliotheksbau. Planung, Gestaltung, Betrieb. Berlin/Boston : De Gruyter Saur, S. 3-16
[6] Metzig, Werner u.a. (2020): Lernen zu lernen. Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen. 10., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin : Springer
[7] Statista (2016): Durchschnittliche Dauer von sitzenden Tätigkeiten von Personen nach Bildungsgrad. Online unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/588185/umfrage/durchschnittliche-dauer-von-sitzenden-taetigkeiten-von-personen-in-deutschland-nach-bildungsgrad/ [Abruf am 20.01.2021]
[9] Bonte, Achim (2017): Vorstoß in neue Wissensräume. Makerspaces im Leistungsangebot wissenschaftlicher Bibliotheken. In: Umlauf, Konrad u.a. (Hg.): Strategien für die Bibliothek als Ort. Festschrift für Petra Hauke. Berlin/Boston: De Gruyter Saur, S. 85-94
[10] Dobeleit, Daniela u.a. (2020): Steuerung und Evaluation. Geräteführerscheine am SLUB Makerspace in Dresden. In: Heinzel, Viktoria (Hg.): Lernwelt Makerspace. Perspektiven im öffentlichen und wissenschaftlichen Kontext. Berln/Boston : De Gruyter Saur, (Lernwelten), S. 101-112
Dieser Beitrag ist im Studiengang Informationsmanagement an der Hochschule Hannover im Rahmen des Kurses Content Management (Wintersemester 2020/21, Prof. Dr.-Ing. Steinberg) entstanden. Die besten Beiträge stellen wir Euch hier in den nächsten Wochen nach und nach vor.