WT.Social: Eine Alternative zu Facebook & Co.?

Autorin: Maria H. Nguyen Thu


Mit 2,9 Mrd. aktiven Nutzer*innen im Monat1 bestimmt Facebook die Informations- und Kommunikationswege. Kritiker werfen der Plattform seit längerem vor, die Privatsphäre von Benutzer*innen zu verletzen und nicht gegen Falschinformationen vorzugehen.

Auf der Suche nach einer möglichen Alternative stolpert man über WT.Social, eine noch unbekannte Plattform von einem nicht unbekannten Gründer. Was steckt hinter dem Dienst und kann dieser als ernsthafte Konkurrenz zu den gängigen sozialen Netzwerken wahrgenommen werden?

Überblick


The non-toxic social network
Welcome to a place where advertisers don’t call the shots.
Where your data isn’t packaged up and sold.
Where you – not algorithms – decide what you see.
Where you can directly edit misleading content.
Where bad actors are kicked out and kept out.
Where you actually like spending time.
Welcome to social media the way it should be.
Welcome to WT.Social.

https://wt.social/

Was ist WT.Social?

Im Oktober 2019 veröffentlichte der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales das soziale Netzwerk WT.Social. Anders als Facebook, Instagram oder Twitter, konzentriert sich WT.Social als „News Focused Social Media“ auf aktuelle Nachrichten und berücksichtigt weniger den persönlichen Aspekt. Wales begründet die Entscheidung damit, dass der Anteil an Fake News in den sozialen Medien zugenommen habe. So möchte er ein nachrichtenfokussiertes Netzwerk aufbauen, worin die Menschen sich frei jeglicher Einflussnahme über das aktuelle Geschehen informieren können.

Der Aufbau erinnert grob an eine Mischung aus Facebook und Reddit: es ist möglich, eigene Beiträge zu verfassen, sich mit anderen Personen zu vernetzen und einen persönlichen Feed zu erstellen.

Keine Werbung, Kein Tracking

Versprochen wird nicht nur der absolute Schutz von Privatsphäre und nutzerbezogenen Daten, sondern auch ein werbefreies und ausschließlich über Spendengelder gefördertes soziales Netzwerk, ähnlich wie Wikipedia. Damit gebietet Wales den Werbefinanzierungen Einhalt, deren Sponsoren häufig vorgeben, was die Nutzer*innen auf ihren Profilen sehen.

Schon vor WT.Social gab es mit Ello oder Diaspora den Versuch einer werbefreien sozialen Plattform. Sie konnten sich jedoch gegen die bekannten Social-Media-Dienste nicht durchsetzen und blieben als Nischenwerkzeuge im Verborgenen.2

Funktionsweise

Alle Mitteilungen sind veränderbar

Es gibt eine Eigenschaft, die WT.Social von anderen sozialen Plattformen unterscheidet: die Nutzer*innen sind in der Lage die Beiträge ihrer Mitmenschen zu bearbeiten!
Mit dieser Funktion wird die Handschrift der Muttergesellschaft deutlich. Auch auf Wikipedia kann jeder Artikel von verschiedenen Autor*innen editiert, ergänzt und korrigiert werden.

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: im Oktober 2020 wurde auf WT.Social ein Link zu einem YouTube-Video geteilt, dessen Inhalt sich eindeutig im Spektrum der Verschwörungstheorien verorten ließ. Weil der Beitrag von jedem angemeldeten Nutzer bearbeitet werden kann, wurde die Meldung einem „Faktencheck“ unterzogen. Nachvollziehbar wird diese Überprüfungsmaßnahme erst mit einem Klick auf den Hinweis Full History rechts vom Beitrag. Hiermit werden frühere Versionen der Mitteilung dokumentiert und aufgezeigt, an welcher Stelle die Nutzer*innen etwas verändert haben.3

Subwikis für Interessen

Wer sich für ein bestimmtes Gebiet interessiert, kann sogenannte Subwikis abonnieren. Subwikis sind gemeinschaftliche Foren, die zum Diskutieren einzelner Themen einladen. Sie reichen von „Fighting misinformation“ (= Falschinformationen bekämpfen) über „Science“ (= Naturwissenschaften) bis hin zu „News about the internet“.4

© Novatrend

Besonderheiten

Auf Twitter und Facebook sind Algorithmen dafür verantwortlich, dass Beiträge im Feed gepusht werden. WT.Social zeigt dagegen – unabhängig von Likes oder Kommentaren – stets die neuesten Mitteilungen als Erste an. Die Einordnung in eine algorithmische Blase soll nicht erfolgen. Gestützt werde dies u.a. durch eine Spenden- statt Werbefinanzierung. Sponsoren üben keinen Einfluss aus und mögliche Falschnachrichten können von der Seite ferngehalten werden.5

Keine Äußerung ist jemals fertig

Für dieses ehrgeizige Ziel trägt hauptsächlich die Community Verantwortung. Hierzu wählte Wales einen radikalen Ansatz. Er transportierte die auf Wikipedia erfolgreiche Methode des Bearbeitens auf die Plattform: jeder Beitrag kann von jedem/jeder Nutzer*in editiert werden. Eigene und fremde Wörter verwachsen miteinander.

Mit der Herangehensweise widerspricht WT.Social dem ursprünglichen Gebot sozialer Medien, dass niemand jemandem reinreden dürfe. Stattdessen sollen in dem Experiment alle Mitglieder*innen dazu angeregt werden, sich vorbildlich zu verhalten und hetzerische Inhalte zu bearbeiten oder gar zu entfernen.

Mögliche Probleme

Zensur?

Die Bearbeitungsfreiheit kann sich als zweischneidiges Schwert erweisen. Während auf anderen sozialen Plattformen jede*r Nutzer*in seine/ihre Gedanken und Vorstellungen ungefiltert präsentieren kann, herrscht auf WT.Social eine „Zensur“ von unten nach oben. Meinungsfreiheit wird hier anders verstanden. Es könnte die Möglichkeit bestehen, dass eine Mitteilung verändert wird, bloß weil es nicht der persönlichen Auffassung eines Nutzers entspricht.

Sortieren?

Nachteilig sind auch die kaum vorhandenen Sortierungsmöglichkeiten. Mittlerweile zählt die Wikipedia-Tochter eine knappe halbe Million Mitglieder*innen. Täglich werden neue Beiträge veröffentlicht, welche sich kaum filtern lassen. Der Überblick geht somit schnell verloren.

Vernetzen?

Ebenfalls ausbaufähig ist die Vernetzungsfunktion. Zwar bietet WT.Social die Option sich mit Familie und Freunden in Verbindung zu setzen, konzentriert sich aber im Allgemeinen auf die News-Features. Für gewöhnlich benutzen wir jedoch soziale Medien gerade wegen der Communities oder um uns zu informieren, was unser Umfeld interessiert und bewegt.

Layout?

Problematisch könnte weiterhin der erste Eindruck sein, den die Plattform vor allem neuen Nutzer*innen verschafft. Mit einer überzeugenden User Experience kann WT.Social nicht punkten. Anders als ihr Vorgänger WikiTribune benutzt das soziale Netzwerk kein WordPress-System, sondern basiert auf einem selbstentwickelten Fundament. Die Optik ist eher gewöhnungsbedürftig und die Benutzeroberfläche schlicht gehalten. Verstärkt wird die Kargheit durch eine hohe Textlastigkeit sowie einen geringen Bildanteil.6

Es kann nur besser werden!

Trotz aller Kritikpunkte wurde das Projekt bewusst als Rohbau herausgebracht. Ganz nach dem Motto von Entwicklern freier Software beabsichtigte Wales eine frühzeitige Veröffentlichung. Von Beginn an würde WT.Social in der Realität getestet werden, um etwaige Anpassungen schnell vornehmen zu können. Da sich das soziale Netzwerk gemeinsam mit seinen Mitglieder*innen entwickeln soll, wären einige Baustellen demnach unvermeidlich.

Ausblick

Mit WT.Social möchte Jimmy Wales in der Social-Media-Landschaft Fuß fassen und diese nachhaltig verändern. Anders als die herkömmlichen sozialen Dienste liegt der Fokus auf dem nachrichtlichen Content. Die Nutzer*innen sollen angeregt werden qualitativen Journalismus zu betreiben und Falschmeldungen zu bearbeiten. Damit die Plattform sich jedoch als Konkurrenz zu Facebook & Co. behaupten kann, müssen zunächst ein paar Voraussetzungen geschaffen werden.

Um sich vom Schatten der Muttergesellschaft zu lösen, müsste WT.Social an ihrem Service und ihrer Benutzeroberfläche arbeiten. Derzeit erinnert das Netzwerk weniger an eine klassische soziale als vielmehr an eine kollaborative Plattform, präsentiert in „a social media way“ – nur dass es sich eben nicht so anfühlt. Eine wichtige Rolle sollten daher auch der Inhalt und die Diskussionen in den Foren spielen.7

Nach knapp anderthalb Jahren kann jedoch noch eine Menge passieren und wohin der Weg letztlich führt, lässt der Gründer offen: „This is a crazy and radical experiment of mine, to which I am happy to say that I do not know all the answers.“

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Verweise

[1] Statista (2021): Number of monthly active Facebook users worldwide as of 3rd quarter 2021. Online unter: https://www.statista.com/statistics/264810/number-of-monthly-active-facebook-users-worldwide/ [Abruf am 16.11.2021]
[2] Holzki, Larissa (2019): Wikipedia-Mitgründer Jimmy Wales startet Facebook-Konkurrenz ohne Werbung. Online unter: https://app.handelsblatt.com/technik/it-internet/soziale-netzwerke-wikipedia-mitgruender-jimmy-wales-startet-facebook-konkurrenz-ohne-werbung/25252992.html [Abruf am: 23.11.2021]
[3] Bovermann, Philipp (2021): Achtung, an diesem Text wird gebaut!. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/digital/jimmy-wales-social-media-facebook-alternative-twitter-1.5173137 [Abruf am: 20.11.2021]
[4] Moreau, Elise (2020): WT Social: What It Is and How to Use It. Online unter: https://www.lifewire.com/wt-social-what-it-is-and-how-to-use-it-4783366 [Abruf am: 20.11.2021]
[5] Affan, Ahmad (2020): WT Social Media by Wikipedia, Wikitribune Social Review: Features and Future?. Online unter: https://www.linkedin.com/pulse/wt-social-media-wikipedia-wikitribune-review-features-ahmad-affan [Abruf am: 02.12.2021]
[6] Polywka, Marlene (2019): „WT:Social“ – was steckt hinter der Facebook-Alternative?. Online unter: https://www.techbook.de/apps/social-media/wtsocial-facebook-alternative [Abruf am: 20.11.2021]
[7] Bacon, Jono (2019): WT.Social is Interesting, But Can It Work? Well, Maybe. Online unter: https://www.forbes.com/sites/jonobacon/2019/11/18/wtsocial-is-interesting-but-can-it-work-well-maybe/ [Abruf am: 30.11.2021]

Quelle – Beitragsbild: https://pixabay.com/de/illustrations/wikipedia-b%c3%bccher-enzyklop%c3%a4die-1802614/
Quelle – Subwiki Bild: https://blog.novatrend.ch/2019/12/02/wp-social-waechst/